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RA Digital - 10/2022

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548 Referendarteil:

548 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 10/2022 Hier: Materielle Illegalität (+) Verletzung der Baugrenzen, § 23 III 1 BauNVO Keine Ausnahme gem. § 23 III 2 BauNVO Keine Ausnahme gem. § 23 V BauNVO, weil Grundzüge der Planung betroffen sind. Rechtsfolge Problem: Verhältnis zur Nutzungsuntersagung Nutzungsuntersagung wäre hier im Übrigen auch nicht weniger eingriffsintensiv als die Beseitigungsanordnung. Besonderes Vollzugsinteresse Problematisch bei Beseitigungsanordnung wegen grds. erheblicher Auswirkungen für den Betroffenen. Der Lagerplatz ist als materiell baurechtswidrig einzustufen. Er verstößt gegen die bauplanungsrechtlich festgesetzte Baugrenze. […] Der nördlich dem Supermarkgebäude befindliche Lagerplatz […] liegt […] unzweideutig außerhalb des Baufensters und verstößt damit gegen § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO. Diese Überschreitung der Baugrenze ist auch nicht zuzulassen, weder nach § 23 Abs. 3 Satz 2 […] BauNVO noch nach § 23 Abs. 5 BauNVO. Eine Zulassung nach § 23 Abs. 3 Satz 2 BauNVO setzt ein Vortreten von Gebäude- oder Anlagenteilen in geringfügigem Ausmaß voraus. […] ist der Lagerplatz mit den Obst- und Gemüsepaletten nicht als geringfügig einzustufen, denn er dient […] der Erweiterung der Verkaufsfläche des Supermarktes und damit der Nutzfläche des Hauptgebäudes. […] Ebenso ist der Lagerplatz nicht nach § 23 Abs. 5 BauNVO zuzulassen. […] Eine Zulassung scheitert […] daran, dass kein Anspruch darauf besteht. Sowohl Satz 1 als auch Satz 2 von § 23 Abs. 5 BauNVO erfordern für die zu prüfende Genehmigungsfähigkeit, dass sich das darin enthaltene behördliche Ermessen auf Null reduziert hat, damit ein Rechtsanspruch auf Zulassung außerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche besteht. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Eine Ermessensreduktion ist nur anzunehmen, wenn öffentliche Belange […] unter keinem Gesichtspunkt beeinträchtigt werden. Vorliegend stehen jedoch öffentliche Belange entgegen. […] berührt die Überschreitung der Baugrenze einen Grundzug der Planung. […] Baugrenzen […] ganz wesentlich den Gebietscharakter bestimmen und mehrere städtebauliche Ziele aufweisen – namentlich eine Abgrenzung zur F. Straße sowie die Gewährleistung […] des gleichgeordneten Nebeneinander von Wohnen und Gewerbe, wozu die nicht überbaubaren Bereiche als optischer und akustischer Puffer dienen […]. Die Antragsgegnerin hat auch das ihr nach § 79 Abs. 1 NBauO eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Soweit zwar […] die [...] Beseitigungsanordnung […] jedenfalls zu dem Zeitpunkt ins Leere laufen könnte, in dem außerhalb der Geschäftszeiten die Obst- und Gemüsepaletten […] nicht aufgestellt sind, führt dies nicht dazu, dass […] eine Nutzungsuntersagung […] zielführender gewesen wäre. […] Denn der Sinn und Zweck jedes Beseitigungsgebots liegt darin, eine Entfernung der beanstandeten Anlage auf Dauer herbeizuführen. Die innere Rechtfertigung liegt […] darin, rechtmäßige Zustände herzustellen, was gerade bei leicht auf- und abbaubaren baulichen Anlagen nur erreicht werden kann, wenn die Wiedererrichtung unterbunden wird. […] Insoweit führt bei fehlender Substanzverletzung und leicht aufbaubaren Anlagen […] die Beseitigungsanordnung und die Nutzungsuntersagung zur identischen Rechtsfolge, sodass […] dauerhaft die erneute Aufstellung mit der Beseitigungsanordnung ausgeschlossen ist. […] Auch das […] besondere Vollzugsinteresse ist gegeben. Soweit dieses bei einer Beseitigungsanordnung zwar nur ausnahmsweise anzunehmen ist, ist dies vorliegend jedoch wegen des fehlenden Eingriffs in die Substanz der baulichen Anlage, hier des Lagerplatzes, und der davon ausgehenden negativen Vorbildwirkung zu bejahen. […]“ Jura Intensiv FAZIT Der Beschluss ist wegen seines Umfangs und der Vielzahl der klassischen, aber auch unbekannteren Probleme des Baurechts außerordentlich examensrelevant. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 10/2022 STRAFRECHT Strafrecht 549 Problem: Abgrenzung § 216 StGB und Beihilfe zum Suizid Einordnung: Strafrecht BT III / Tötungsdelikte BGH, Beschluss vom 28.06.2022 6 StR 68/21 EINLEITUNG Die Angeklagte hatte den Sterbewunsch ihres Ehemannes erfüllt, indem sie diesem eine tödliche Dosis Medikamente überließ, die er einnahm, und ihm eine ebenfalls tödliche Dosis Insulin injizierte. Der BGH befasst sich anhand dieses Sachverhalts ausführlich mit der Abgrenzung von (gem. § 216 I StGB) strafbarer Tötung auf Verlangen und strafloser Beihilfe zum Suizid. SACHVERHALT Die Angeklagte A arbeitete jahrzehntelang als Krankenschwester, bis sie im Jahr 2010 in Rente ging. Sie war seit 1970 mit R verheiratet, der seit Anfang der 1990er Jahre unter Schmerzen im Rücken und Schulter-Nacken-Bereich litt. Ab 1993 entwickelte sich ein chronisches Schmerzsyndrom. Seitdem war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig und berentet. Er litt seither unter einem schmerzgeleiteten Psychosyndrom, Adipositas, Myalgie, Hypertonie, insulinpflichtigem Diabetes mellitus, einem zervikalen Bandscheibenschaden mit Radikulopathie, psychosomatischen Schlafstörungen, einem Restless-Legs-Syndrom, einer mittelgradigen depressiven Episode und Arthrose in den Händen. Seit 2016 wurde R zu Hause von A gepflegt. Er wurde unter anderem mit Hydromorphon in Tablettenform, Diazepam, Prothazin liquidum sowie Insulininjektionen behandelt. Das Insulin verabreichte ihm seit 2017 die A, die ihm auch die Tabletten aus den Blistern drückte, weil es ihm aufgrund seiner Arthrose schwerfiel, die Spritzen selbst aufzuziehen und die Tabletten herauszudrücken. Seit Anfang 2019 war er bettlägerig. Er äußerte vermehrt den Wunsch zu sterben und kam mit A dahin überein, dass kein Arzt geholt werden solle, wenn er seinem Leben ein Ende setzen wolle. Am 07.08.2019 litt waren die Rückenschmerzen des R so stark, dass er laut aufschrie. Erst nachdem A ihm auf seine Bitte vier schnellwirkende, hochdosierte Schmerztabletten gegeben hatte, gelang es ihr gegen 17 Uhr, ihn auf den Nachtstuhl zu setzen. Als sie anschließend zusammen Kaffee tranken und R zwei Zigaretten rauchte, sagte er: „Heute machen wir’s“. A war klar, dass er damit meinte, seinem Leben an diesem Tag ein Ende setzen zu wollen. R sprach mit A über die gemeinsamen Ehejahre und sagte, dass er sie nicht gern allein lasse, aber trotzdem heute „gehen“ müsse. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war A bewusst, dass der Sterbewunsch ihres Mannes ernst war. R forderte A gegen 23 Uhr auf, ihm alle im Haus vorrätigen Tabletten zu geben. A trug seinem Wunsch entsprechend alle verfügbaren Medikamente zusammen, brach die Tabletten aus den Verpackungen und gab ihm diese in die Hand. Sie schüttete den Inhalt einer noch fast vollen 50-ml-Flasche Prothazin in ein Wasserglas und reichte es ihm. R nahm alle Tabletten selbständig ein und schluckte sie mit dem Inhalt des Trinkglases hinunter. Jura Intensiv LEITSÄTZE 1. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid erfordert eine normative Betrachtung. 2. Der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit gefasste und erklärte Sterbewille führt zur situationsbezogenen Suspendierung der Einstandspflicht für das Leben des Ehegatten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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