Aufrufe
vor 6 Jahren

RA Digital - 11/2017

  • Text
  • Jura
  • Intensiv
  • Inhaltsverzeichnis
  • Verlags
  • Entscheidung
  • Stgb
  • Strafrecht
  • Urteil
  • Recht
  • Auflage
Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

566 Zivilrecht

566 Zivilrecht RA 11/2017 Der OLG – Senat beruft sich auf das Urteil des BGH vom 21.01.1986, VI ZR 208/84. Danach besteht kein absolutes Verbot, einen anderen zur Selbstgefährdung auf psychische Weise zu veranlassen. Beachten Sie aber: Der BGH hat das Problem der Selbstgefährdung in der zitierten Entscheidung unter dem Einwand des widersprüchlichen Verhaltens gem. § 242 BGB (venire contra factum proprium) verortet. Wer sich in die Obhut eines Experten begibt, der eine Garantenstellung übernimmt, muss seinen Schaden nicht vollständig selbst tragen. B nannte sich zwar „Tanzkönig“, aber weder Tanzlehrer noch Profi-Tänzer. Ein Zurechnungszusammenhang kann auch auf einer besonderen Garantenstellung beruhen – eine solche lag hier aufgrund der unzureichenden Tanzfähigkeiten des B allerdings nicht vor. Die Selbstbezeichnung als „Tanzkönig“ reicht insoweit nicht aus. Noch einmal: Zum selben Ergebnis gelangt, wer das Problem des Handelns auf eigene Gefahr an das Verbot des Selbstwiderspruchs gem. § 242 BGB knüpft (venire contra factum proprium). In Fällen der vorliegenden Art gilt nach st. Rspr. des BGH der Grundsatz, dass weder ein allgemeines Gebot besteht, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren, noch ein Verbot, sie zur Selbstgefährdung psychisch zu veranlassen, sofern nicht - was vorliegend ausscheidet - das selbstgefährdende Verhalten durch Hervorrufen einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation „herausgefordert“ worden ist. Der BGH hat in der vorgenannten Entscheidung u.a. ausgeführt: „Beschränkt sich die Rolle des für die Selbstschädigung des Geschädigten zur Mitverantwortung herangezogenen Schädigers dergestalt auf die bloße Teilnahme an dem gefahrenträchtigen Unternehmen, dann fehlt es nach Auffassung des Senats an dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen dem Schadenserfolg und einer von dem “Schädiger“ verletzten Verhaltungsnorm, der es rechtfertigen könnte, den Geschädigten anders zu behandeln, als wenn er das Unternehmen für sich allein durchgeführt hätte und schon deshalb mit seinem Schaden allein belastet bliebe.“ Nach der Rspr. des BGH, der sich der Senat in vollem Umfang anschließt, kommt die Annahme eines Zurechnungszusammenhanges zwischen der schädigenden Handlung und dem eingetretenen Erfolg allenfalls dann in Betracht, wenn der „Schädiger“ - hier also B - durch die Inanspruchnahme einer übergeordneten Rolle als „Experte“ K gegenüber eine Garantenstellung für die Durchführung des gemeinsamen Unternehmens übernommen oder durch sein Verhalten einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung der K eröffnet hätte. Wenngleich sich B selbst als „Tanzkönig“ seines Ortes bezeichnet und seine Tanzkünste diejenigen der K deutlich übersteigen, kann er nicht als Experte im vorstehenden Sinne angesehen werden. B ist weder beruflich mit dem Tanzsport verbunden noch führt die Teilnahme an einigen - wenigen - Tanzkursen zu einer Experten- und damit Garantenstellung gegenüber K. Vielmehr zeigt das Verhalten des B, dass es sich bei ihm gerade nicht um einen routinierten und professionellen Tänzer handelt, da ein solcher - anders als B - entweder der - zunächst - ablehnenden Haltung der K gegenüber dem gemeinsamen Tanz Rechnung getragen und nach einer anderen Tanzpartnerin Ausschau gehalten hätte oder zumindest die Art und Weise der Ausführung des Tanzes an den Tanzkenntnissen und Fertigkeiten des schwächeren Tanzpartners ausgerichtet hätte. Die Gefahr eines Sturzes beim Tanz besteht grds. und war für alle Beteiligten, insbesondere für K aufgrund ihrer fehlenden Paartanzkenntnisse, gleichermaßen erkennbar.“ Jura Intensiv Mithin kann B die Rechtsgutverletzung nicht zugerechnet werden. B. Ergebnis K hat gegen B keinen Anspruch auf Zahlung der Heilbehandlungskosten gem. §§ 823 I, 249 II 1 BGB. FAZIT Es besteht kein Verbot, einen anderen zur Selbstgefährdung auf psychische Weise zu veranlassen, solange das selbstgefährdende Verhalten durch Hervorrufen einer im Ansatz billigenswerten Motivation – hier das Tanzen – hervorgerufen wurde. In diesen Fällen fehlt es an dem für einen Schadensersatzanspruch erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen Schadenserfolg und einer vom Schädiger verletzten Verhaltsnorm. Alternativ besteht ein Ausschlussgrund gem. § 242 BGB wegen eines Selbstwiderspruchs. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2017 Zivilrecht 567 Problem: Frau-zu-Mann-Transsexueller ist im Rechtssinne Mutter Einordnung: Familienrecht BGH, Urteil vom 06.09.2017 XII ZB 660/14 EINLEITUNG Das Bundesverfassungsgericht entschied im Jahr 2011, dass eine Änderung des Personenstands auch ohne Operation und Herbeiführung der Zeugungsunfähigkeit möglich ist. Anerkannte Transmänner können daher unter Umständen weiter Kinder gebären. Bei Eintragung des Kindes ins Geburtenregister kann dies zu erheblichen Problemen führen. Der BGH musste sich nun damit befassen, ob das Standesamt einen Transmann als „Mutter“ behandeln darf und mit seinem alten weiblichen Vornamen eintragen kann. SACHVERHALT B wird im Jahr 1982 als Kind weiblichen Geschlechts geboren. Im Jahr 2010 wird ihr Vorname durch Beschluss des Amtsgerichts in den männlichen Vornamen „O“ geändert. Durch rechtskräftigen Beschluss vom 07.06.2011 wird festgestellt, dass O als dem männlichen Geschlecht zugehörig anzusehen ist. Danach setzt O die männlichen Hormone ab und wird wieder fruchtbar. Durch eine Samenspende („Bechermethode“) wird er schwanger und bringt am 28.03.2013 einen Jungen zur Welt. Mit dem Samenspender wird vereinbart, dass er nicht rechtlicher Vater des Kindes wird. Das Standesamt (S) hat Zweifel, wie die Geburt des betroffenen Kindes im Geburtenregister zu beurkunden ist. S möchte wissen, ob O Mutter im statusrechtlichen Sinn ist und welcher Name im Geburtenregister einzutragen ist. O möchte weiter als Mann behandelt werden. Er ist der Meinung, dass die derzeitige Rechtslage verfassungswidrig ist. Zu Recht? Jura Intensiv Anmerkung: § 5 III TSG: In dem Geburtseintrag eines leiblichen Kindes des Antragstellers oder eines Kindes, das der Antragsteller vor der Rechtskraft der Entscheidung nach § 1 angenommen hat, sind bei dem Antragsteller die Vornamen anzugeben, die vor der Rechtskraft der Entscheidung nach § 1 maßgebend waren. LEITSÄTZE 1. Ein Frau-zu-Mann-Transsexueller, der nach der rechtskräftigen Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit ein Kind geboren hat, ist im Rechtssinne Mutter des Kindes. 2. Es ist sowohl im Geburtenregister des Kindes als auch in den aus dem Geburtenregister erstellten Geburtsurkunden – sofern dort Angaben zu den Eltern aufzunehmen sind – als „Mutter“ mit seinen früher geführten weiblichen Vornamen einzutragen. § 10 I TSG: Von der Rechtskraft der Entscheidung an, dass der Antragsteller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, richten sich seine vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. § 10 II TSG: § 5 gilt sinngem.. § 11 S. 1 TSG: Die Entscheidung, dass der Antragsteller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, lässt das Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und seinen Eltern sowie zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern unberührt, bei angenommenen Kindern jedoch nur, soweit diese vor Rechtskraft der Entscheidung als Kind angenommen worden sind. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

RA - Digital

Rspr. des Monats