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RA Digital - 11/2017

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568 Zivilrecht

568 Zivilrecht RA 11/2017 LÖSUNG O ist biologisch Mutter, aber rechtlich keine Frau. § 10 I TSG bestimmt, dass sich die Rechte und Pflichten eines Transsexuellen nach der Entscheidung gem. § 8 I TSG grds. nach dem neuen Geschlecht richten Gender oder Transgender hin oder her: Wenn es um die Abstammung oder ums Geld geht (Unterhalt, Scheinvaterregress) zählt nur die Biologie. Eine anderweitige gesetzliche Bestimmung ist jedoch in § 11 S. 1 TSG enthalten. Danach lässt die Entscheidung gem. § 8 I TSG das Verhältnis zu Kindern unberührt. Kinder müssen das uneingeschränkte Recht behalten, ihre Abstammung bestimmen zu können. A. Mutter i.S.d. § 1591 BGB Mutter eines Kindes ist nach § 1591 BGB die Frau, die es geboren hat. O hat das Kind zwar geboren. Problematisch ist jedoch, dass er bei Geburt des Kindes am 28.03.2013 keine „Frau“ im Rechtssinne mehr gewesen ist. Zu diesem Zeitpunkt war er aufgrund des seit dem 07.06.2011 rechtskräftigen Beschlusses des Amtsgerichts bereits als dem männlichen Geschlecht zugehörig anzusehen. I. § 10 I TSG Gem. § 10 I TSG gilt ab der Rechtskraft der Entscheidung nach § 8 I TSG, dass sich die vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht richten, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. II. § 11 S. 1 TSG als anderweitige Bestimmung Eine derartige anderweitige Bestimmung enthält § 11 S. 1 TSG, wonach die Entscheidung, dass ein Transsexueller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, das Rechtsverhältnis zwischen ihm und seinen Kindern unberührt lässt. „II.1.b) Das Beschwerdegericht hat mit Recht erkannt, dass § 11 S. 1 TSG auch Sachverhalte erfasst, in denen das leibliche Kind eines Transsexuellen - wie hier - zeitlich erst nach der gerichtlichen Entscheidung über die Änderung der elterlichen Geschlechtszugehörigkeit geboren wird. II.1.b) bb) Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine Erstreckung des Anwendungsbereichs von § 11 S. 1 TSG auf solche leiblichen Kinder, die erst nach der gerichtlichen Entscheidung gem. § 8 I TSG geboren worden sind. Nach § 11 S. 1 TSG soll der Status des Transsexuellen als Vater oder als Mutter unberührt bleiben, und zwar insbesondere für die Vaterschaftsfeststellung und die Ehelichkeitsanfechtung. Das Gesetz will damit in Bezug auf das Abstammungsrecht generell gewährleisten, dass der biologisch durch Geburt oder Zeugung festgelegte rechtliche Status als Mutter oder Vater des Kindes einer Veränderung nicht zugänglich ist. Dies betrifft alle leiblichen Kinder eines Transsexuellen unabhängig davon, ob sie vor oder nach der gerichtlichen Entscheidung über die Änderung der elterlichen Geschlechtszugehörigkeit geboren worden sind. Denn auch den erst nach der gerichtlichen Entscheidung gem. § 8 I TSG geborenen Kindern soll durch eine biologisch nicht begründete Zuweisung der rechtlichen Mutterschaft oder Vaterschaft nicht die Möglichkeit genommen werden, ihre Abstammung feststellen zu lassen.“ Jura Intensiv Damit ist O gem. § 1591 BGB Mutter im statusrechtlichen Sinn. III. Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz Die geltende Rechtslage müsste jedoch auch mit dem Grundgesetz vereinbar sein. „III.1. Es verstößt nicht gegen Grundrechte des O, dass ihm das geltende Abstammungsrecht ungeachtet des Umstands, dass er nunmehr als dem männlichen Geschlecht zugehörig gilt, den rechtlichen Status einer „Mutter“ des betroffenen Kindes zuweist. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2017 Zivilrecht 569 III.1. a) Die gesetzliche Regelung verletzt den O nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art. 1 I GG. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es die Anerkennung der geschlechtlichen Identität eines transsexuellen Elternteils beeinträchtigen kann, wenn ihm im Verhältnis zu einem nach der Entscheidung gem. § 8 I TSG geborenen oder gezeugten Kind ein rechtlicher Status – Vater oder Mutter - zugewiesen ist, welcher der geschlechterbezogenen Elternrolle seines selbstempfundenen und rechtlich zugewiesenen Geschlechts nicht entspricht. Die Persönlichkeitsentfaltung ist allerdings gem. Art. 2 I GG in die Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gestellt. Darunter sind alle Rechtsnormen zu verstehen, die sich formell und materiell mit dem Grundgesetz im Einklang befinden. Dies ist bei den §§ 1591, 1592 BGB und § 11 S. 1 TSG der Fall, und zwar auch auf der Grundlage der vom Senat für zutreffend befundenen Auslegung von § 11 S. 1 TSG. III.1.a) aa) Das deutsche Abstammungsrecht ist - wie die weitaus meisten Rechtsordnungen weltweit - davon geprägt, dass es die Fortpflanzungsfunktionen der Elternteile mit ihrem Geschlecht verknüpft, indem es in § 1591 BGB die Rolle der Gebärenden einer Frau (Mutter) und in § 1592 BGB die Rolle des Erzeugers einem Mann (Vater) zuweist. Hiergegen lassen sich keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Bedenken erheben. Insbesondere lässt sich dem Grundgesetz keine Verpflichtung zur Schaffung eines „geschlechtsneutralen“ Abstammungsrechts entnehmen, in dem Vaterschaft und Mutterschaft auf einen rein sozialen Bedeutungsinhalt dekonstruiert und als rechtliche Kategorien aufgegeben werden. Denn letztlich ist die Verknüpfung zwischen Fortpflanzungsfunktion und Geschlecht unbestreitbar biologisch begründet. Auch die Verfassung selbst legt in Art. 6 IV GG eine solche Verknüpfung zugrunde, indem sie der „Mutter“ einen besonderen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft gewährt. Statusrechtliche Zuordnungsprobleme beim Auseinanderfallen zwischen der Fortpflanzungsfunktion des biologischen Geschlechts und dem davon abweichenden rechtlich zugewiesenen Geschlecht eines Elternteils, die angesichts der kleinen Gruppe transsexueller Menschen ohnehin eher selten zu erwarten sind, können und müssen daher auf der Grundlage des bestehenden geschlechtsspezifischen Abstammungsrechts gelöst werden. III.1.a) bb) Mutter ist die Person, die das Kind geboren hat, Vater die Person, bei der aufgrund sozialer Beziehungen zur Mutter bei typisierender Betrachtungsweise davon ausgegangen werden kann oder bei der aufgrund gerichtlicher Feststellung erwiesen ist, dass es sich bei ihr um den genetischen Erzeuger des Kindes handelt. Mit dieser Zuordnung entspricht das Gesetz dem verfassungsrechtlich aus Art. 6 II 1 GG hergeleiteten Gebot, die auf Abstammung gegründete Zuweisung der elterlichen Rechtsposition grds. an der biologischen Herkunft des Kindes auszurichten und dadurch möglichst eine Übereinstimmung zwischen leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen. Durch die Regelung des § 11 S. 1 TSG ist sichergestellt, dass den betroffenen Kindern trotz der Geschlechtsänderung eines Elternteils rechtlich immer ein Vater und eine Mutter zugeordnet bleiben oder werden. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits ausdrücklich ausgesprochen hat, ist es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, Kinder ihren biologischen Eltern auch rechtlich so zuzuweisen, dass ihre Abstammung nicht im Widerspruch zu ihrer biologischen Zeugung auf zwei rechtliche Mütter oder Väter zurückgeführt wird.“ Jura Intensiv Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gem. Art. 2 I GG i.V.m. Art 1 I GG wird durch die einfachgesetzlichen Regelungen in §§ 10 I, 11 S. 1 TSG nicht verletzt. Das Grundgesetz normiert keine Verpflichtung zur Schaffung eines geschlechtsneutralen Abstammungsrechts, in welchem Vater- und Mutterschaft auf einen rein sozialen Bedeutungsinhalt dekonstruiert werden. Mutter Natur lässt sich eben nicht mit einem Federstrich beseitigen. Die Mutter- und Vaterschaft bestimmt sich nach einer Verknüpfung von Fortpflanzungsfunktion und Geschlecht. Die Verfassung steht dem nicht entgegen. Mutterschaft gem. § 1591 BGB Vaterschaft gem. § 1592 BGB Leibliche und rechtliche Elternschaft sollen möglichst übereinstimmen. § 11 S. 1 TSG stellt dies sicher. Entscheidender Aspekt: Die Rechte der Kinder sind nicht verhandelbar. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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