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RA Digital - 11/2018

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606 Referendarteil:

606 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 11/2018 Keine Verbandskompetenz hinsichtlich des gewählten Mottos der Versammlung Keine Verbandskompetenz wegen räumlicher Nähe Untaugliches Kriterium Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen - NKomVG, § 23 Rn 27 Rechtwidriger Zustand wegen 2. Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. Das Gericht führt hier einen weiteren tragenden Grund für seine stattgebende Entscheidung an. Dies ist in der Praxis durchaus üblich, um die Entscheidung „beschwerde- bzw. berufungssicher“ zu machen. BVerfG, Urteil vom 27.2.2018, 2 BvE 1/16, juris Rn 39 ff. m.w.N., RA 2018, 193 BVerwG, Urteil vom 13.9.2017, 10 C 6/16, RA 2018, 29, 31 Soweit der Antragsgegner seine Verbandszuständigkeit unter Berufung auf das gewählte Motto der Versammlung zu begründen versucht, hat er damit weder nachvollziehbar dargelegt, noch ist sonst für die Kammer ersichtlich, dass sich die Antragstellerin mit dem von ihr gewählten Motto „gezielt an die Einwohnerinnen und Einwohner“ des Antragsgegners wende. Die Kammer kann dem Motto lediglich einen Bezug hinsichtlich der Einwohnerinnen und Einwohner des gleichnamigen Nachbarlandkreises sowie darüber hinaus eine Ansprache an all diejenigen Bundesbürgerinnen und Bundesbürger entnehmen, die das Gedankengut der Antragstellerin teilen. [...] Die Betroffenheit des Antragsgegners unterscheidet sich insoweit jedoch nicht von derjenigen aller anderen kommunalen Gebietskörperschaften im Bundesgebiet. [...] Die Verbandszuständigkeit des Antragsgegners lässt sich auch nicht mit einer räumlichen Nähe zum Versammlungsort Leinefelde begründen. Allein das Kriterium einer räumlichen Nähe, selbst wenn sie wie vorliegend die unmittelbare Nachbarschaft meint, ist ungeeignet zur Begründung eines spezifisch örtlichen Bezugs. Dies gilt jedenfalls, soweit damit Sachverhalte erfasst werden sollen, die sich außerhalb des Gebiets des Antragsgegners zutragen. Im Ansatz hat sich das Tätigwerden einer Kommune und ihrer Organe auf das Gemeindegebiet zu beschränken. Die Verbandskompetenz einer kommunalen Gebietskörperschaft endet daher grundsätzlich an der eigenen Gemeinde- bzw. Kreisgrenze. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur für besondere Sachverhaltskonstellationen anzuerkennen, bei denen weitere Umstände hinzutreten, die einen spezifisch örtlichen Bezug zu vermitteln vermögen. In der Rechtsprechung und Literatur werden exemplarisch Sachverhalte interkommunaler Zusammenarbeit im Anwendungsbereich des Niedersächsischen Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (NKomZG) oder etwaiger staatsvertraglicher Regelungen sowie im Anwendungsbereich des sog. interkommunalen Abstimmungsgebotes angeführt, das auf den Gebieten der Raumordnung und Bauleitplanung Geltung beansprucht. Eine damit vergleichbare Sachlage […] liegt hier nicht vor. Jura Intensiv Darüber hinaus – dies trägt die Entscheidung selbstständig – verletzt der veröffentlichte Aufruf des Antragsgegners das Neutralitätsgebot. Dieses Gebot ergibt sich aus dem aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG folgenden Grundsatz der Chancengleichheit. Hiervon umfasst wird das Recht der Parteien, durch Demonstrationen und Versammlungen an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken. Die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Ein Eingriff in den Anspruch der Parteien auf Chancengleichheit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG und damit einhergehend eine Verletzung des Gebots staatlicher Neutralität liegt vor, wenn staatliche Organe auf die Ankündigung oder Durchführung politischer Kundgebungen in einseitig parteiergreifender Weise reagieren und damit auf die politische Willensbildung des Volkes einwirken. Das Neutralitätsgebot gilt auch auf kommunaler Ebene und ist nicht auf die Zeiten des Wahlkampfes beschränkt; vielmehr gilt es für den politischen Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2018 Referendarteil: Öffentliches Recht 607 Meinungskampf und Wettbewerb im Allgemeinen. Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet dabei insbesondere statt, wenn sich ein Amtsinhaber unter Inanspruchnahme seiner Amtsautorität oder unter Nutzung amtlicher Ressourcen durch amtliche Verlautbarungen etwa in Form offizieller Publikationen, Pressemitteilungen oder auf offiziellen Internetseiten seines Geschäftsbereichs erklärt. Die im Tenor wiedergegebenen Äußerungen - der konkrete Aufruf zur Beteiligung an Protestaktionen - greifen im oben beschriebenen Sinn unter Inanspruchnahme amtlicher Autorität und Nutzung amtlicher Ressourcen zulasten der Antragstellerin in den politischen Meinungskampf und Wettbewerb ein. Die Veröffentlichung der Pressemitteilung erfolgte unter Verwendung des amtlichen Briefkopfes auf dem amtlichen Internetauftritt des Antragsgegners. Eine Verletzung der Neutralitätspflicht scheidet vorliegend auch nicht deshalb aus, weil es sich bei der Antragstellerin um einen Kreisverband der NPD handelt. Zwar hat der Antragsgegner zurecht darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13 - festgestellt hat, dass die NPD die Grundprinzipien missachte, die für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat unverzichtbar seien. [...] Wie das Bundesverfassungsgericht jedoch ebenfalls ausgeführt hat, sei bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin ausgeschlossen, möge diese sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auch noch so feindlich verhalten. [...] Dies zugrunde gelegt geht die Kammer davon aus, dass die NPD und ihre Verbände (weiter) unter das Neutralitätsgebot fallen. [...] Die Grenzen der Verbandskompetenz des Antragsgegners sowie das staatliche Neutralitätsgebot beschränken allerdings nicht die im Kreisausschuss des Antragsgegners vertretenen Politikerinnen und Politiker, außerhalb ihrer Funktion als Mitglieder des Kreisausschusses am politischen Meinungskampf teilzunehmen. Die Übernahme eines Amtes in einem kommunalen Organ soll im Parteienstaat des Grundgesetzes nicht dazu führen, dass dem Amtsinhaber die Möglichkeit parteipolitischen Engagements nicht mehr offensteht. Grenzen eines solchen politischen Engagements, das sich auch durch den Aufruf zur Teilnahme an einer Gegendemonstration zur Versammlung der Antragsgegnerin am 1. September 2018 im Landkreis Eichsfeld zeigen kann, ergeben sich lediglich aus den Strafgesetzen sowie aus dem staatlichen Neutralitätsgebot; letzteres verbietet es - wie ausgeführt -, die Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, die ein öffentliches Amt einräumt. Es wäre den Mitgliedern des Kreisausschusses des Antragsgegners im konkreten Fall also jederzeit möglich, den Aufruf selbst oder über ihre Parteien öffentlich zu äußern. [...] Jura Intensiv VG Köln, Beschluss vom 12.10.2017, 4 L 4065/17, juris Rn 24 m.w.N. Subsumtion: Beginnend mit Ergebnissatz (Urteilsstil) Verfassungsfeindlichkeit der NPD unerheblich, da sie nicht verboten ist Grenze des Neutralitätsgebots: Politikern ist es nicht verwehrt, außerhalb ihres Amtes am politischen Meinungskampf teilzunehmen. BVerfG, Urteil vom 16.12.2014, 2 BvE 2/14, juris Rn 50 ff. m.w.N. Protestaufruf zulässig, wenn die Mitglieder des Kreisausschusses als Privatpersonen agiert hätten © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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