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RA Digital - 11/2019

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566 Zivilrecht

566 Zivilrecht RA 11/2019 Aufzählung ist nicht abschließend) thermostatische Mischventile oder -batterien mit Begrenzung der oberen Temperatur eingesetzt werden sollten. Dabei wird in Satz 3 eine Temperatur von höchstens 43 °C empfohlen. Bei der nachfolgenden Heilbehandlung im Krankenhaus wurden mehrere Hauttransplantationen durchgeführt. Es kam zu erheblichen Komplikationen. Unter anderem wurde K mit einem multiresistenten Keim infiziert. Sie ist inzwischen nicht mehr gehfähig und auf einen Rollstuhl angewiesen, weil sich so genannte Spitzfüße gebildet haben. Außerdem verschlechterte sich ihr psychischer Zustand, was sich unter anderem in häufigen und anhaltenden Schreianfällen äußert. K ist der Meinung, es sei pflichtwidrig gewesen, sie ohne Aufsicht und insbesondere ohne Kontrolle der Wassertemperatur ein Bad nehmen zu lassen. Sie verlangt ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 € und die Zahlung einer monatlichen Rente von 300,- €. Zu Recht? Die vertraglich begründete Obutspflicht im Sinne des § 241 II BGB und die übernommene Verkehrssicherungspflicht im Sinne des § 823 I BGB haben denselben Inhalt. BGH nimmt Bezug auf das HeimG Anmerkung: Aus Platzgründen verzichten wir auf eine Darstellung der §§ 823 I, 823 II und § 831 BGB. Die Ausführungen zur Obhutspflichtverletzung können auf die Verletzung deliktischer Verkehrssicherungspflichten übertragen werden. So sieht es auch der BGH in seinem Urteil. PRÜFUNGSSCHEMA A. Anspruch der K gegen B auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, 241 II BGB B. Ergebnis LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, 241 II BGB I. Schuldverhältnis Ein solcher Anspruch setzt ein Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner voraus. Dies liegt hier im zwischen K und B am 30.03.2012 geschlossenen Heimvertrag. Jura Intensiv II. Pflichtverletzung gem. § 241 II BGB Zur Begründung eines Anspruchs aus § 280 I, 241 II BGB muss der Schuldner eine Pflicht im Sinne des § 241 II BGB verletzt haben, die nicht von einer spezielleren Norm geregelt sein darf. Hier könnte der Heimvertrag der B eine Obhutspflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der ihr anvertrauten K auferlegt haben, welche B verletzt hat. Diese Pflicht umfasst den Schutz der Bewohner vor Schädigungen, die ihnen wegen Krankheit oder sonstiger körperlicher oder geistiger Einschränkungen durch sie selbst oder durch die Einrichtung und bauliche Gestaltung des Heims drohen. Fraglich ist, ob K unbeaufsichtigt das Wasser in die Badewanne hat laufen lassen dürfen, wenn die technische Anlage keine Regelung der Ausflusstemperatur auf höchstens 43 Grad Celsius vorsieht. Zu berücksichtigen ist, dass die DIN-Norm aus dem Jahr 2005 stammt und keine ausdrückliche Empfehlung zur Nachrüstung älterer Anlagen ausspricht. [13] Diese Pflichten sind jedoch auf die in vergleichbaren Heimen üblichen (gebotenen) Maßnahmen begrenzt, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab ist das Erforderliche und das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2019 Zivilrecht 567 Dabei ist zu beachten, dass beim Wohnen in einem Heim die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner vor Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohner zu wahren und zu fördern sind (vgl. § 2 Absatz 1 Nummer 1 und § 2 Absatz 1 Nummer 2 HeimG). [14] Welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines körperlich oder geistig beeinträchtigten Heimbewohners zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen, kann nicht generell, sondern nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden. Soweit im Hinblick auf eine bestimmte Gefahrenlage technische Regelungen wie insbesondere DIN- Normen bestehen, können diese im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung zur Konkretisierung des Umfangs der Obhuts- und Verkehrssicherungspflichten des Heimträgers mit herangezogen werden. [15] Zwar haben DIN-Normen als technische Regeln keine normative Geltung. Es handelt sich vielmehr um auf freiwillige Anwendung ausgerichtete private technische Regelungen mit Empfehlungscharakter. Sie können die anerkannten Regeln der Technik wiedergeben, hinter diesen aber auch zurückbleiben. Da sie jedoch die widerlegliche Vermutung in sich tragen, den Stand der allgemein anerkannten Regeln der Technik wiederzugeben, sind sie zur Bestimmung des nach der Verkehrsauffassung Gebotenen in besonderer Weise geeignet und können regelmäßig zur Feststellung von Inhalt und Umfang bestehender Verkehrssicherungspflichten herangezogen werden. Auch außerhalb ihres unmittelbaren Anwendungsbereichs kommen DIN- Normen als Maßstab für verkehrsgerechtes Verhalten in Betracht, soweit Gefahren betroffen sind, vor denen sie schützen sollen. Da sie jedoch im Allgemeinen keine abschließenden Verhaltensanforderungen enthalten, darf sich der Verkehrssicherungspflichtige nicht darauf beschränken, die Empfehlungen technischer Normen unbesehen umzusetzen. Vielmehr hat er die zur Schadensabwehr erforderlichen Maßnahmen anhand der Umstände des Einzelfalls eigenverantwortlich zu treffen. Die Zumutbarkeit von Sicherungsvorkehrungen ist dabei unter Abwägung der Wahrscheinlichkeit der Gefahrverwirklichung, der Gewichtigkeit möglicher Schadensfolgen und des mit etwaigen Sicherungsvorkehrungen verbundenen Aufwands zu bestimmen (BGH, Urteil vom 19. Juli 2018, VII ZR 251/17). [16] (…) Dabei kann bereits die bloße Existenz einer DIN-Norm für das Bestehen eines Risikos sprechen, dem durch Sicherheitsvorkehrungen zu begegnen ist. Ein Heimbewohner, der dem Heimträger zum Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit anvertraut ist, kann erwarten, dass der Heimträger ihn vor einer - jedenfalls in einer DIN-Norm beschriebenen - Gefahrenlage schützt, wenn er selbst auf Grund körperlicher oder geistiger Einschränkungen nicht in der Lage ist, die Gefahr eigenverantwortlich zu erkennen und angemessen auf sie zu reagieren. Um die daraus folgende Obhutspflicht zu erfüllen, muss der Heimträger, soweit dies mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand möglich und für die Heimbewohner sowie das Pflege- und Betreuungspersonal zumutbar ist, nach seinem Ermessen entweder die Empfehlungen der DIN-Norm umsetzen oder aber die erforderliche Sicherheit gegenüber der dieser Norm zugrunde liegenden Gefahr auf andere Weise gewährleisten, um Schäden der Heimbewohner zu vermeiden. Jura Intensiv DIN-Normen nehmen Menschen nicht das Denken ab. Sie entbinden nicht von gebotenen Einzelfallabwägungen. Sie dürfen aber zur Konkretisierung von Pflichten herangezogen werden. DIN-Normen haben keine normative Geltung. Sie können aber einen Hinweis auf die anerkannten Regeln der Technik geben. BGH, Urteil vom 24. Mai 2013, V ZR 182/12, Rn 25 Palandt/Sprau, BGB, § 823 Rn 51 Das heißt: Wenn die Heimleitung weiß, dass es keine Temperaturregelung gibt, welche das Wasser mit maximal 43 Grad Celsius austreten lässt, müssen die Pflegerinnen informiert und angewiesen werden, beim Einlassen des Wassers nur Personen unbeaufsichtigt zu lassen, die sich eigenständig aus der Gefahr einer Verbrühung befreien können. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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