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RA Digital - 11/2019

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590 Öffentliches Recht

590 Öffentliches Recht RA 11/2019 Wortlautauslegung Teleologische Auslegung BVerwG, Urteile vom 30.9.2009, 6 C 29.08, Rn 17, und vom 16.5.2007, 6 C 24.06, Rn 46f., 65 Problem: Wertung des Art. 21 II, IV GG (sog. Parteienprivileg) Inhalt des Parteienprivilegs Schutz aller parteibezogenen Tätigkeiten „[15] Der Wortlaut des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Vorschrift hinter § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG a.F. zurückzutreten hätte. Die unterschiedliche tatbestandliche Ausgestaltung spricht vielmehr in gesetzessystematischer Hinsicht dafür, dass beide Vorschriften nebeneinander anwendbar sind. Denn das in § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG a.F. genannte Merkmal der „Mitgliedschaft“ ist rein organisationsbezogen, während sich das Merkmal „Bestrebungen verfolgen“ in Nr. 3 auf die Tätigkeit bezieht. Zudem beträgt die „Wohlverhaltensfrist“ bei Nr. 2 zehn Jahre, bei Nr. 3 aber nur fünf Jahre. Daher verbleibt für § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG a.F. […] ein substantieller Anwendungsbereich. […] [16] Der Annahme einer Ausschlusswirkung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b WaffG a.F. im Verhältnis zu § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. steht vor allem auch der Normzweck entgegen. Der Senat hat wiederholt hervorgehoben, dass es das zentrale Anliegen des Waffengesetzes ist, den Schutz der Allgemeinheit vor unzuverlässigen Waffenbesitzern zu verstärken, d.h. das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen. Schutzlücken, die dem Regelungszweck des Gesetzes widersprächen, Risiken des Waffenbesitzes auf ein Mindestmaß zu beschränken, sind zu vermeiden. Eine derartige Schutzlücke entstünde jedoch dann, wenn das Verfolgen von Bestrebungen der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. genannten Art im Schatten der Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei zum Nachteil der Allgemeinheit folgenlos bliebe, obwohl es nach der Wertung des Gesetzes regelmäßig die Unzuverlässigkeit begründet.“ Fraglich ist aber, ob das in Art. 21 II, IV GG zum Ausdruck kommende sog. Parteienprivileg ein anderes Normverständnis gebietet. „[17] […] Zwar verbot Art. 21 Abs. 2 GG a.F. (vgl. jetzt Art. 21 Abs. 4 GG n.F.) bis zu der - hier noch nicht anwendbaren - Neufassung des Art. 21 GG [..], mit der die Möglichkeit geschaffen wurde, verfassungsfeindliche Parteien von staatlicher Finanzierung auszuschließen (vgl. Art. 21 Abs. 3 GG n.F.), jede rechtliche Anknüpfung an die verfassungsfeindliche Ausrichtung einer Partei und jede darauf gestützte strafrechtliche oder administrative Behinderung ihrer politischen Tätigkeit bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht. Andere Sanktionen als die zum Parteiverbot führende Feststellung der Verfassungswidrigkeit sah Art. 21 Abs. 2 GG a.F. nicht vor und ließ das Grundgesetz seinerzeit nicht zu. Ausgeschlossen war damit auch jede im Rang unter dem Grundgesetz stehende Regelung zur Benachteiligung wegen der Mitgliedschaft in einer solchen Partei oder wegen des Eintretens für deren Ziele. […] Das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. bezog sich dabei nicht nur auf die Parteiorganisation, sondern auch auf die parteioffizielle bzw. parteiverbundene Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei, soweit sie mit allgemein erlaubten Mitteln arbeiten, insbesondere nicht gegen die allgemeinen, d.h. kein Sonderrecht gegen die Parteien enthaltenden Strafgesetze verstoßen. [18] Die Annahme einer waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit von Mitgliedern einer Partei bei Vorliegen der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. genannten Voraussetzungen steht mit diesen Grundsätzen im Einklang; denn die von Art. 21 GG geschützte Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung wird hierdurch nicht in rechtserheblicher Weise Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2019 Öffentliches Recht 591 beeinträchtigt. Ein zielgerichteter Eingriff in die Freiheit der politischen Betätigung der betreffenden Partei liegt nicht vor, da waffenrechtliche Erlaubnisse für eine solche Betätigung ohne Relevanz sind. Allerdings ist eine mittelbare bzw. faktische Beeinträchtigung nicht auszuschließen, wenn die Aussicht der Nichterteilung oder des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis bei einem Teil der Anhänger der Partei dazu führen kann, von Aktivitäten für die Partei abzusehen. Von dem Grundsatz, dass eine von Verfassungs wegen erlaubte parteioffizielle oder parteiverbundene Tätigkeit von Mitgliedern oder Anhängern einer Partei nicht in anderen Rechtsbereichen mit nachteiligen Folgen verknüpft werden kann, ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn der Gesetzgeber aufgrund anderer Verfassungssätze verpflichtet oder jedenfalls berechtigt ist, eine abweichende Regelung zu treffen. […] [19] In diesem Sinne berechtigt die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herzuleitende allgemeine staatliche Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit den Gesetzgeber, Gründe für eine regelmäßig anzunehmende waffenrechtliche Unzuverlässigkeit auch im Verhältnis zu Mitgliedern und Anhängern politischer Parteien aufzustellen und auszugestalten. Wegen der extremen Gefährlichkeit des Umgangs mit Waffen ist der Staat verfassungsrechtlich gehalten, die Allgemeinheit vor unzuverlässigen Waffenbesitzern wirksam zu schützen. Der Gesetzgeber ist im Einklang mit seiner Schutzverpflichtung aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu der Einschätzung gelangt, dass das Verfolgen oder Unterstützen der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. näher bezeichneten verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Regelfall dazu führt, dass die betreffende Person nicht die Gewähr dafür bietet, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen. Die damit verbundene Vorverlagerung des Schutzes höchstrangiger Rechtsgüter hält sich im Rahmen des weiten Einschätzungs- und Prognosespielraums, der dem Gesetzgeber nicht nur bei der Festlegung der von ihm ins Auge gefassten Regelungsziele, sondern auch bei der Beurteilung dessen zusteht, was er zur Verwirklichung dieser Ziele für geeignet und erforderlich halten darf. Bei der Einschätzung von Gefahren, die der Allgemeinheit drohen, und bei der Beurteilung der Maßnahmen, die der Verhütung und Bewältigung dieser Gefahren dienen sollen, ist der Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers erst überschritten, wenn die gesetzgeberischen Erwägungen so fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für derartige Maßnahmen abgeben können. [20] Für die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht für das Leben und die körperliche Unversehrtheit macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die Betätigung, die […] die Unzuverlässigkeit begründet, innerhalb oder außerhalb einer politischen Partei ausgeübt wird. Vergleichbar mit den allgemeinen, d.h. kein Sonderrecht gegen die Parteien enthaltenden Strafgesetzen handelt es sich bei § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG a.F. daher um eine Vorschrift, die dem Schutz fundamentaler Rechtsgüter der Allgemeinheit dient und für die Mitglieder und Anhänger der Parteien auch in Anbetracht des Art. 21 Abs. 2 GG a.F. ebenso Geltung beansprucht wie für alle anderen Bürger. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ist auch keine „Aushöhlung“ des Parteienprivilegs dadurch zu befürchten, dass die vorstehenden Erwägungen auf eine Vielzahl anderer „gefahrgeneigter“ Tätigkeiten wie den Betrieb von Gaststätten oder das Führen von Kraftfahrzeugen übertragen werden könnten. Denn die zum Schutz der Allgemeinheit vor unzuverlässigen Waffenbesitzern Jura Intensiv Quintessenz: Für Parteiarbeit benötigt man keine Waffe Aber evtl. mittelbare Beeinträchtigung der Parteiarbeit, weil Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse die NPD meiden könnten Wichtig! Beeinträchtigungen der Parteiarbeit ausnahmsweise zulässig, wenn der Schutz anderer Verfassungssätze dazu berechtigt Hier: Schutz der Rechtsgüter aus Art. 2 II 1 GG vor den extremen Gefahren durch Waffen Weiter Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bekämpfung der von Waffen ausgehenden Gefahren Grenzen des gesetzgeberischen Beurteilungsspielraums Letztlich ist ein Parteimitglied genauso zu behandeln wie jeder andere Bürger Keine Übertragbarkeit auf andere Bereiche wie z.B. das Gaststättenrecht © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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