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RA Digital - 11/2020

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568 Zivilrecht

568 Zivilrecht RA 11/2020 Problem: Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners nach vorheriger Abtretung Einordnung: BGB AT, Schuldrecht AG Bremen, Urteil vom 22.09.2020 19 C 543/19 LEITSATZ DER REDAKTION 1. Nach einer Abtretung der Forderung und der schriftlichen Abtretungsanzeige des Zessionars gegenüber dem Schuldner steht dem Schuldner gegenüber dem Gläubiger ein Leistungsverweigerungsrecht sui generis zu. Dieses Leistungsverweigerungsrecht erlischt erst dann, wenn der Gläubiger dem Schuldner eine wirksame Verzichtserklärung des Zessionars übermittelt. 2. Eine Verzichtserklärung, die ein Vertreter im Namen eines Scheingläubigers abgibt und diese Erklärung zugleich als Vertreter des Gläubigers entgegennimmt, ist gem. § 181 BGB als Mehrfachvertretung schwebend unwirksam, sofern der Vertreter nicht offenlegt, dass er von den jeweils Vertretenen von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit worden ist. Um die Anspruchsgrundlage und ihre Herleitung geht es im vorliegenden Fall nicht. Wegen solcher Unsicherheiten gibt es zum Schutz des Schuldners u.a. § 409 BGB. Die Unsicherheit kann gem. § 409 II BGB beseitigt werden. Bis dahin kann sich der Schuldner auf das Zurückbehaltungsrecht sui generis berufen. EINLEITUNG Bekommt ein Schuldner eine Abtretungsanzeige über die ihm obliegende Forderung vorgelegt, schützt ihn § 409 BGB vor mehrfacher Inanspruchnahme durch den wahren und den falschen Gläubiger. SACHVERHALT K war am 27.06.2019 unter der Buchungsnummer XYZ auf die von der B durchzuführenden Flüge XYZ, XYZ, XYZ von Bangalore über Paris und Amsterdam nach Bremen gebucht. Der Flug von Bangalore nach Paris wurde unstreitig verspätet durchgeführt. K und B sind sich einig, dass K ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 600,- € aus Art. 5, 6 und 7 der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) zusteht. K trat mit Abtretungserklärung vom 29.07.2019 ihre Ansprüche an das Inkassounternehmen A ab. Diese Abtretung zeigte A der B unter Vorlage der Abtretungserklärung an. Am 15.07.2020 erklärte der Vertreter der K im Namen der A unter Beifügung einer Vollmacht der A den Verzicht. Die Vollmacht enthielt keine Befreiung von § 181 BGB. B ist der Meinung, K sei nicht Gläubigerin, da sie ihre Ansprüche am 29.07.2019 wirksam an A abgetreten habe. Aus § 409 BGB ergebe sich, dass K die Abtretung auch im Fall von deren Unwirksamkeit gegen sich gelten lassen müsse. K meint, weiterhin Gläubiger zu sein. Zu Recht? LÖSUNG Jura Intensiv A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung von 600,- € aus § 398 BGB i.V.m. Art. 5, 6 und 7 der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004 K könnte gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 600,- € aus § 398 BGB i.V.m. Art. 5, 6 und 7 der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) haben. Dass die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ist zwischen K und B unstreitig. I. Abtretungsvertrag K muss die Forderung abgetreten haben. K trat mit Abtretungserklärung vom 29.07.2019 ihre Ansprüche an die A ab. Zwischen K und B ist streitig, ob diese Abtretung gem. § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen § 2 RDG nichtig ist.. II. Zurückbehaltungsrecht der B sui generis Die Wirksamkeit der Abtretung kann dahinstehen, wenn B gegenüber K sogar bei unterstellter Unwirksamkeit der Abtretung ein Zurückbehaltungsrecht sui generis gegen den geltend gemachten Anspruch zustünde. Ein solches könnte durch die mit der Abtretungsanzeige erzeugten Rechtsunsicherheit entstanden sein. [21] Zeigt der Gläubiger, hier die Klägerin, dem Schuldner, hier die Beklagte, an, dass er die Forderung abgetreten habe, so muss er dem Schuldner Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2020 Zivilrecht 569 gegenüber die angezeigte Abtretung gegen sich gelten lassen, auch wenn sie nicht erfolgt oder nicht wirksam ist, § 409 Abs. 1 Satz 1 BGB. [22] Denn auch bei unterstellter Unwirksamkeit der Abtretung zugunsten der Klägerin kann die Beklagte dem Klaganspruch jedenfalls ein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten. Fraglich ist, ob vorliegend das Zurückbehaltungsrecht ausnahmsweise nicht entstanden ist, weil K die Abtretungsanzeige nicht selbst an B übermittelt hat. [23] Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es im Falle der schriftlichen Anzeige der Abtretung nicht erforderlich, dass die Klägerin selbst die Anzeige an die Beklagte übermittelt hat. [24] Dieses Erfordernis könnte allein dann relevant sein, wenn bereits nach dem Inhalt der Abtretungsanzeige selbst Unklarheiten bestünden, ob diese Erklärung von der Zedentin stamme (…). Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Nur bei höchstpersönlichen Rechtsgeschäften ist Stellvertretung unzulässig. Ein solches Geschäft liegt hier nicht vor. [26] Da die Anwendung von § 409 BGB eine in Wahrheit nicht erfolgte oder unwirksame Abtretung voraussetzt (…), kann die Frage, ob die Abtretung – so die Klägerin – nichtig ist oder nicht im Ergebnis dahingestellt bleiben. [27] Denn unterstellt man zugunsten der Klägerin eine Nichtigkeit der Abtretung, so bliebe zwar die Klägerin Inhaberin der Forderung, jedoch stünde der Beklagten in diesem Fall ein Zurückbehaltungsrecht sui generis zu (…). [28] Dieses Zurückbehaltungsrecht hat nach überwiegender Auffassung auch der Schuldner, der die Unwirksamkeit der Abtretung positiv kennt (...). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Anzeige schriftlich angezeigt wurde (…), was vorliegend der Fall ist. Gemäß § 409 II BGB könnte K die Unsicherheit beseitigt und damit das Zurückbehaltungsrecht zum Erlöschen gebracht haben. Dies erfordert eine Zustimmung oder Verzichtserklärung des Berechtigten bzw. Scheinberechtigten. Eine solche Verzichtserklärung hat der Vertreter der K im Namen der A abgegeben. Fraglich ist, ob diese Erklärung wirksam ist. Problematisch erscheint, dass der Vertreter zugleich im Namen der K und auch im Namen der A gehandelt hat, was gegen das Verbot des Insichgeschäfts des § 181 BGB verstoßen könnte. Jura Intensiv Stellvertretung zulässig Vgl. zum Zurückbehaltungsrecht sui generis Palandt/Grüneberg, BGB, § 409, Rn 4 Die schriftliche Anzeige erzeugt eine Rechtsunsicherheit, welcher durch das Zurückbehaltungsrecht begegnet wird. Verzichtserklärung war hier ein Insichgeschäft [30] Zwar hat der Klägervertreter im Schriftsatz vom 15.07.2020 unter Beifügung einer Vollmacht der A. Ltd. vom 25.09.2014 eine Verzichtserklärung im Namen der A. Ltd. abgegeben. Aus dieser Vollmacht geht indes nicht hervor, dass der Klägervertreter von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit worden ist. Nach § 181 BGB ist eine Erklärung, die ein Vertreter durch gleichzeitiges Handeln im Namen der Vertretenen, hier im Namen der Prozessvollmacht der Klägerin, sowie als Vertreter eines Dritten, hier der A. Ltd. aufgrund der Vollmacht vom 25.09.2014, abgibt, schwebend unwirksam. Somit ist die Verzichtserklärung des Klägervertreters jedenfalls schwebend unwirksam analog § 177 BGB (). B. Ergebnis K hat gegen B zurzeit keinen Anspruch auf Zahlung von 600,- € aus § 398 BGB i.V.m. Art. 5, 6 und 7 der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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