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RA Digital - 11/2020

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582 Referendarteil:

582 Referendarteil: Zivilrecht RA 11/2020 Problem: Verjährungsbeginn eines Anspruchs aus § 826 BGB Einordnung: BGB AT, Schuldrecht BT LG Hildesheim, Urteil vom 09.10.2020 4 O 300/19 LEITSATZ Die Verjährungsfrist beginnt erst ab einer Kenntnis von Tatsachen, aus denen sich die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit Wissen und Wollen der organschaftlichen Vertreter ergibt. Die fehlende Kenntnis dieser anspruchsbegründenden Umstände kann nicht durch eine „Zumutbarkeit der Klageerhebung“ ersetzt werden. Das Unstreitige wird im Indikativ Imperfekt dargestellt. Ausnahmen – insbesondere hier – sind Umstände, die sich auf die Gegenwart beziehen. Der streitige Klägervortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Wird (ein Teil) der Prozessgeschichte vorgezogen, erfolgen Ausführungen nach dem Parteivorbringen des Klägers und vor dessen Anträgen. Dies ist hier aufgrund der seitens des B erhobenen Einrede der Verjährung sinnvoll. Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. EINLEITUNG Bereits in der RA 10/2020, S. 525 haben wir angekündigt, dass die Gerichte sich mit Rechtsfragen bezüglich der Verjährung von Ansprüchen, die im Zusammenhang mit dem „Diesel-Skandal“ stehen, zu beschäftigen haben werden. Ergänzend zu der oben genannten Entscheidung des LG Saarbrücken thematisiert diese Entscheidung, inwieweit es darauf ankommt, dass der Gläubiger Kenntnis davon hat, dass der Schuldner bzw. ein dem Schuldner zuzurechnendes Vorstandsmitglied, von dem sittenwidrigen Verhalten Kenntnis hatte. TATBESTAND Der Kläger (K) erwarb am 31.08.2013 einen PKW (…) zum Preis i. H. v. 13.250 € und einem Kilometerstand von (…). Hersteller des im PKW verbauten Motors ist die Beklagte (B). Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (…) mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die im Zusammenhang mit dem Motor verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten. Im September 2015 räumte B öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Jura Intensiv K behauptet, der Vorstand der B habe die Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware gekannt. Die Klageschrift ist datiert vom 29.12.2018 und trägt einen Eingangsstempel der Justizbehörden (…) mit Datum vom 03.01.2019. K beantragt, B zu verurteilen, 9.901,97 € zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs (…) mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (…). B beantragt, die Klage abzuweisen. B erhebt die Einrede der Verjährung. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2020 Referendarteil: Zivilrecht 583 ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die Klage ist zulässig und begründet. K steht ein Anspruch auf Schadenersatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des gekauften Fahrzeugs in geltend gemachter Höhe aus § 826 BGB zu. Das Verhalten der B ist sittenwidrig im Sinne der Norm. B hat auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (…). Ebenfalls bestand ein Schädigungsvorsatz der vormals verantwortlichen Vorstände (…). Entgegen der Rechtsauffassung der B ist der Anspruch jedoch nicht verjährt. K wusste bezüglich der Sittenwidrigkeit nicht, ob ein der B nach § 31 BGB zuzurechnendes Vorstandsmitglied oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung hatte. [17] Nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist auf die Kenntnis des Gläubigers von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners an. Maßgeblich ist die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen, für die der (potenzielle) Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast trägt (…). In der Rechtsprechung (…) ist dabei anerkannt, dass die erforderliche Kenntnis des Verletzten vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen grundsätzlich keine zutreffende rechtliche Würdigung voraussetzt. Es genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit vielmehr Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (…). [18] Danach ist auch eine Kenntnis von den die Sittenwidrigkeit und die Zurechnung nach § 31 BGB begründenden Umständen erforderlich. (…) Ein Anspruchsteller hat daher auch darzulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) des in Anspruch genommenen Unternehmens die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (…). [19] Nach diesen Maßgaben hat die Verjährungsfrist noch nicht begonnen (…). Eine solche Kenntnis ist ihm auch nicht grob fahrlässig unbekannt geblieben, die aber zu den anspruchsbegründenden Umständen gehört. Denn ohne diese Zurechnung besteht kein Anspruch aus § 826 BGB. [20] Eine solche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis folgt entgegen der Auffassung der Beklagten nicht daraus, dass der Kläger aus Presseerklärungen der Beklagten bzw. der Medienberichterstattung alle „anspruchsbegründenden Umstände“ hätte entnehmen können. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit Wissen und Wollen der organschaftlichen Vertreter der Beklagten ist von keinem Beteiligten eingeräumt worden und wird nach wie vor von der Beklagten (mit Nichtwissen) bestritten. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass sie eine solche Kenntnis und Billigung einer nach Jura Intensiv Urteilsstil ((…), denn (…)) BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn 13 – 28, RA 2020, 337 BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn 60 – 63, RA 2020, 337 Grundsatz: Beginn der Verjährungsfrist ab Kenntnis sämtlicher den Anspruch begründender Tatsachen Der Anspruchsteller muss keine zutreffende rechtliche Würdigung vornehmen. Es kommt ausschließlich auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände an. BGH, Beschluss vom 19.03.2008, III ZR 220/07, Rn 7 Die Kenntnis von den tatsächlichen Umständen umfasst aber auch solche Umstände, die eine Zurechnung der sittenwidrigen Handlung zu den Vertretern begründet. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn 35, RA 2020, 337 „Natürlich“ nicht © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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