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RA Digital - 11/2020

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590 Öffentliches Recht

590 Öffentliches Recht RA 11/2020 Ansicht 1: Vorrang des VersG – Stichwort: Konzentrationswirkung des Versammlungsrechts (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, VersG, § 13 Rn 2 und Teil I Rn 277) Ansicht 2: Keine Sperrwirkung des VersG (vgl. Kießling, IfSG, § 28 Rn 46; Klafki, JuS 2020, 511, 515; Siegel, NVwZ 2020, 577) Das OVG lehnt wegen des Eilcharakters seines Beschlusses eine endgültige Entscheidung des Meinungsstreits zwar ab, legt sich dann aber doch relativ deutlich fest. Mögliche Überforderung der Infektionsschutzbehörden ist kein Argument für den Vorrang des § 15 VersG. Rückschluss aus § 28 I 4 IfSG spricht für Anwendbarkeit des IfSG Einwände des Antragstellers … … überzeugen das OVG nicht, weil sie sich nicht mit dem weiten Wortlaut des § 28 I 2 IfSG decken. Fazit: § 28 I 2 IfSG ist anwendbar (noch etwas deutlicher ist das OVG in seiner Parallelentscheidung vom gleichen Tag, 15 B 1421/20, juris Rn 3) „[…] in der Literatur [wird] einerseits unter Hinweis auf die mangelnde Trennschärfe zwischen versammlungsspezifischen und -unspezifischen Gefahren § 15 Abs. 1 VersG für einschlägig erachtet. Danach seien aufgrund der Konzentrationswirkung des Versammlungsrechts infektionsschutzrechtliche Belange zum Gegenstand der versammlungsbehörlichen Verfügung zu machen. Andererseits wird die Auffassung vertreten, das Versammlungsrecht entfalte unter dem Aspekt der „Polizeirechtsfestigkeit“ keine Sperrwirkung gegenüber den infektionsschutzrechtlichen Bekämpfungsbefugnissen. Das vorliegende Beschwerdeverfahren ist nicht geeignet, eine abschließende Klärung der bisher weder durch die fachgerichtliche Rechtsprechung noch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworteten Frage nach dem Verhältnis der infektionsschutzrechtlichen Generalklausel zu den versammlungsrechtlichen Eingriffsbefugnissen herbeizuführen. Der Senat folgt dem Antragsteller jedenfalls nicht in seiner Einschätzung, dass eine mögliche Überforderung der Infektionsschutzbehörden in der gegenwärtigen Pandemielage sowie die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den von Dauerversammlungen ausgehenden versammlungsspezifischen und -unspezifischen Gefahren für § 15 VersG als allein richtige Rechtsgrundlage sprechen. Bei überschlägiger Prüfung könnte vielmehr einiges auf die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 1 IfSG als Spezialregelung hindeuten. § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG ermächtigt zu Ansammlungsverboten und -beschränkungen zum Zweck der Verhinderung der Ausbreitung übertragbarer Erkrankungen. Dass der Gesetzgeber dabei auch Beschränkungen der Versammlungsfreiheit vor Augen hatte, dürfte durch die Wahrung des Zitiergebots in § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG deutlich werden. Soweit der Antragsteller demgegenüber meint, das Zitiergebot mache (lediglich) klar, dass von einer infektionsschutzrechtlichen Verfügung betroffene Personen ihren Bestimmungsort nicht unter Verweis auf die Ausübung ihrer Versammlungsfreiheit verlassen dürften oder zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderliche Ortsbeschränkungen nicht deshalb entfielen, weil an ihnen Versammlungen im Sinne des Versammlungsgesetzes durchgeführt würden (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG), überzeugt dies bei vorläufiger Bewertung angesichts des darüber hinausgehenden Regelungsgehalts des § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht. Ermächtigt aber die bundesgesetzliche Vorschrift des § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG zu Eingriffen in die Versammlungsfreiheit, dürfte für die Annahme einer Sperrwirkung des Versammlungsgesetzes wohl kein Raum sein. Den spezifischen grundrechtlichen Anforderungen des Art. 8 Abs. 1 GG wäre dann durch eine strenge Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme Rechnung zu tragen, die es erlaubt, die auch sonst für Eingriffe in die Versammlungsfreiheit geltenden Wertungen auch im Infektionsschutzrecht zu verwirklichen.“ Jura Intensiv Somit beruht die umstrittene Anordnung auf § 28 I 2 IfSG. II. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung Die zuständige Infektionsschutzbehörde hat laut Sachverhalt formell ordnungsgemäß gehandelt, sodass die Anordnung formell rechtmäßig ist. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2020 Öffentliches Recht 591 III. Materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung Die Anordnung ist materiell rechtmäßig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 I 2 IfSG vorliegen und die Behörde das ihr auf der Rechtsfolgenseite eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat. 1. Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider § 28 I 2 IfSG verweist tatbestandlich auf die Voraussetzungen des § 28 I 1 IfSG. Angesichts der anhaltenden Corona-Pandemie liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor. 2. Rechtsfolge Auf der Rechtsfolgenseite eröffnet § 28 I 2 IfSG ein behördliches Ermessen, das auch die Beschränkung und das Verbot von Veranstaltungen oder sonstigen Ansammlungen von Menschen ermöglicht. Fraglich ist in diesem Zusammenhang nur, ob die umstrittene Anordnung das Gebot der Verhältnismäßigkeit wahrt. a) Legitimer Zweck Die Anordnung muss einem legitimen Zweck dienen. „Die Anordnung zur Erstellung einer Teilnehmerliste unter Angabe von Name, Adresse und Telefonnummer zur Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit von Kontakten von Coronavirus-Infizierten dient dem legitimen Zweck, im Falle eines Infektionsnachweises mögliche Infektionsketten unverzüglich aufzudecken und zu unterbrechen, um auf diese Weise eine dynamische Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu verhindern.“ b) Geeignetheit Geeignet ist die behördliche Maßnahme, wenn sie die Erreichung des verfolgten Zwecks fördert. „Dass sich die Verpflichtung zur Erhebung der Kontaktdaten bei den Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmern als nicht geeignet zur Erreichung dieses Zwecks erweist, ist nicht ersichtlich. Insbesondere wird die Regelung nicht durch den Umstand durchgreifend in Frage gestellt, dass wegen fehlender Kontrollmöglichkeiten auch falsche Kontaktdaten angegeben werden könnten. Selbst wenn, was nicht auszuschließen ist, einige Personen falsche Personalien angeben, stellt dies die generelle Eignung zur Rückverfolgung von Infektionsketten nicht in Frage.“ Jura Intensiv Knapp halten, da unproblematisch Problem: Verhältnismäßigkeit Zweckförderlichkeit Sanktionsloses Fehlverhalten einzelner Personen führt nicht automatisch zur Ungeeignetheit der Anordnung c) Erforderlichkeit Die Anordnung ist erforderlich, wenn es kein gleich geeignetes, milderes Mittel gibt, um das verfolgte Ziel zu erreichen. „Nach den maßgeblichen Feststellungen des Robert Koch-Instituts handelt es sich weiterhin um eine dynamische und ernst zu nehmende Situation. […] Es kommt weiterhin bundesweit zu größeren und kleineren Ausbruchsgeschehen, insbesondere im Zusammenhang mit Feiern im Familien- und Freundeskreis und bei Gruppenveranstaltungen. […] Bei Protestcamp besteht die Gefahr eines „Superspreading-Event“ © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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