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RA Digital - 11/2020

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594 Öffentliches Recht

594 Öffentliches Recht RA 11/2020 Problem: Corona-Pandemie: Verkaufsoffene Sonntage Einordnung: Ladenschlussrecht / Grundrechte OVG Münster, Beschluss vom 03.09.2020 4 B 1253/20.NE LEITSÄTZE 1. Die Absicht, dem lokalen Einzelhandel als Ausgleich für Umsatzeinbußen wegen der Corona- Pandemie zusätzliche Einnahmen zu ermöglichen, rechtfertigt keine anlasslosen weitreichenden und sortimentsübergreifenden Ladenöffnungsfreigaben an Sonntagen. 2. Weder die unbestrittenen Herausforderungen der Corona-Pandemie noch ein Ministerialerlass setzen die verfassungsrechtliche Ordnung außer Kraft. Einer gewichtigen sachlichen Rechtfertigung für eine Durchbrechung des Sonn- und Feiertagsschutzes bedarf es auch angesichts dessen, dass der Landesverordnungs- und -gesetzgeber trotz der wirtschaftlichen Folgen der Corona- Pandemie bis Ende des Jahres ohne Ausnahme an dem Verbot von großen Festveranstaltungen sowie an grundsätzlich arbeitsfreien Sonn- und Feiertagen festgehalten hat. 3. Gerade angesichts von wirtschaftlichen Folgen, denen zwar nicht der ganze stationäre Einzelhandel, aber doch bestimmte Branchen landesweit im Wesentlichen in vergleichbarer Weise ausgesetzt sind, ist kein zureichender Sachgrund ersichtlich, der eine Ausnahme für den gesamten Einzelhandel in einer Stadt rechtfertigt, während die Geschäfte in anderen Gemeinden, auch und gerade, soweit sie durch die Pandemie ähnlich betroffen sind, sonntags geschlossen bleiben müssen. […] EINLEITUNG Die mit der Corona-Pandemie verbundenen Belastungen für die Wirtschaft haben zu etlichen staatlichen Rettungsaktionen geführt. Eine dieser Maßnahmen ist auf gemeindlicher Ebene die Zulassung verkaufsoffener Sonnund Feiertage, um dem besonders betroffenen stationären Einzelhandel zusätzliche Einnahmemöglichkeiten zu verschaffen. Ob diese nachvollziehbare Hilfsmaßnahme für die angeschlagene örtliche Wirtschaft auch den einschlägigen Vorgaben des Gesetzes, insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, hat das OVG Münster in dem hier dargestellten Beschluss untersucht. SACHVERHALT Die Wallfahrtsstadt Kevelaer will den durch die Corona-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Schäden für den stationären Einzelhandel entgegenwirken und erlässt daher eine Verordnung, die an vier Sonntagen eine Ladenöffnung im gesamten Stadtgebiet gestattet. Zur Begründung führt die Stadt aus, eine Ladenöffnung von Montag bis Samstag sei nicht ausreichend, um der Gefährdung des stationären Einzelhandels in Kevelaer entgegenzuwirken. In der Vergangenheit hätten die verkaufsoffenen Sonntage ca. 3% des Gesamtjahresumsatzes des Einzelhandels ausgemacht und seien daher für diesen von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Des Weiteren liege Kevelaer in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Niederlanden, wo das Shoppen an sieben Tagen in der Woche erlaubt sei. Es gehe im Übrigen auch darum, die Struktur der Innenstadt zu retten, da insbesondere dort mit Betriebsaufgaben gerechnet werden müsse. Verstärkt werde diese Gefahr durch das Ausbleiben der üblichen Pilgergruppen und die damit verbundenen Einnahmeausfälle, die insbesondere im Innenstadtbereich aufträten. Im Übrigen könne man sich auf einen Erlass des Wirtschaftsministeriums NRW berufen, der als Sachgrund für eine sonntägliche Ladenöffnung die Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Pandemie nenne. Schließlich könne mittels der Sonntagsöffnung im Interesse des Infektionsschutzes eine Entzerrung des Einkaufsverhaltens erreicht werden. Ist die Verordnung wirksam? Jura Intensiv LÖSUNG Die Verordnung ist wirksam, wenn sie auf einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage beruht, die formell und materiell fehlerfrei angewendet wurde. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2020 Öffentliches Recht 595 I. Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung Als Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung kommt § 6 I 1, 2 Nr. 2, IV LÖG NRW in Betracht. II. Formelle Rechtmäßigkeit der Verordnung In formeller Hinsicht begegnet die Verordnung keinen rechtlichen Bedenken, insbesondere hat mit dem Bürgermeister die zuständige örtliche Ordnungsbehörde die Verordnung erlassen, § 6 IV 1 LÖG NRW i.V.m. §§ 1 I, 3 I, 4 I, 5 I 1 OBG. III. Materielle Rechtmäßigkeit der Verordnung Materiell ist die Verordnung rechtmäßig, wenn sie einerseits den Vorgaben des § 6 I 1, 2 Nr. 2, IV LÖG NRW genügt und andererseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen ausreichend Rechnung trägt. Verfassungsrechtliche Anforderungen sind vor allem dem in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV verbürgten Sonn- und Feiertagsschutz zu entnehmen. 1. Anforderungen des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV „Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV entziehen Sonn- und Feiertage grundsätzlich der werktäglichen Geschäftigkeit. […] Verfassungsrechtlich geschützt ist der allgemein wahrnehmbare Charakter des Tages als grundsätzlich für alle verbindlicher Tag der Arbeitsruhe. Eine Freigaberegelung muss […] zur Wahrung des verfassungsrechtlich geforderten Mindestniveaus des Sonntagsschutzes die Sonn- und Feiertage als Tage der Arbeitsruhe zur Regel erheben. Ausnahmen darf er nur aus zureichendem Sachgrund zur Wahrung gleich- oder höherwertiger Rechtsgüter zulassen; das bloß wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und das alltägliche Erwerbsinteresse potentieller Kunden genügen dazu nicht. Außerdem muss sichergestellt sein, dass die Ausnahmen als solche für die Öffentlichkeit erkennbar bleiben. Danach genügt es nicht, die Zahl der jährlich zulässigen Sonn- und Feiertagsöffnungen gesetzlich zu beschränken. Darüber hinaus muss der Normgeber […] sicherstellen, dass entsprechende Ermächtigungen nur Sonntagsöffnungen ermöglichen, die durch einen zureichenden Sachgrund von ausreichendem Gewicht bezogen auf den zeitlichen, räumlichen und gegenständlichen Umfang der jeweiligen Sonntagsöffnung gerechtfertigt und für das Publikum am betreffenden Tag als Ausnahme von der sonntäglichen Arbeitsruhe zu erkennen sind. Eine Sonntagsöffnung darf nicht auf eine weitgehende Gleichstellung mit den Werktagen und ihrer geschäftigen Betriebsamkeit hinauslaufen. Jura Intensiv Bei gebietsweiten und gegenständlich unbeschränkten Sonntagsöffnungen bedarf es besonders gewichtiger Gründe; Sachgründe von geringerem Gewicht können regelmäßig nur räumlich oder gegenständlich eng begrenzte Ladenöffnungen mit geringer prägender Wirkung für den öffentlichen Charakter des Tages rechtfertigen. § 6 Ladenöffnungsgesetz (LÖG) NRW: (1) An jährlich höchstens acht, nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Sonn- oder Feiertagen dürfen Verkaufsstellen im öffentlichen Interesse ab 13 Uhr bis zur Dauer von fünf Stunden geöffnet sein. Ein öffentliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn die Öffnung […] 2. dem Erhalt, der Stärkung oder der Entwicklung eines vielfältigen stationären Einzelhandelsangebot dient, […] (4) Die zuständige örtliche Ordnungsbehörde wird ermächtigt, die Tage nach Absatz 1 und 2 durch Verordnungen freizugeben. […] Problem: Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV Vorgaben des GG für eine Sonntagsöffnung Sonntagsöffnung = Ausnahme Bloße wirtschaftliche Interessen (-) Fazit: Erforderlich sind ein gewichtiger Sachgrund im Verhältnis zum Umfang der Veranstaltung und die Erkennbarkeit als Ausnahme BVerwG, Urteil vom 22.6.2020, 8 CN 1.19, juris Rn 24, 43 Je schwächer der Sachgrund, desto geringer der Umfang der Sonntagsöffnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.6.2020, 8 CN 1.19, juris Rn 18; Urteil vom 11.11.2015, 8 CN 2.14, juris Rn 22). © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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