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RA Digital - 11/2020

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564 Zivilrecht

564 Zivilrecht RA 11/2020 Ein Abhandenkommen bei K zu diesem Zeitpunkt erfordert, dass K überhaupt noch Besitzer war. Zunächst wird der Besitz im Sinne des § 854 BGB geprüft. Zur Verkehrsanschauung, wer die tatsächliche Sachherrschaft über ein Fahrzeug ausübt, wenn ein Fahrzeugschlüssel übergeben wird. Bloße Lockerung, wenn Übergabe des Schlüssels nur zur Besichtigung Der BGH differenziert: Bei einer kurzen Probefahrt ist eine Lockerung des Besitzes vertretbar, weil die Sachherrschaft sehr kurz ist, BGH, Urteil vom 17.03.2017, V ZR 70/16, RA 2017, 460. Hier liegt der Fall aber anders, denn die Probefahrt erfolgte zum einen unbegleitet und dauerte eine ganze Stunde. Gegen diese Differenzierung und für eine bloße Lockerung: Münch. Komm./Oechsler, BGB, § 935 Rn 11; Staudinger/Gutzeit, BGB, § 854 Rn 44 Auch aus der Tatsache, dass das Fahrzeug rote Kennzeichen hatte, ergibt sich kein anderes Ergebnis. (1) Unmittelbarer Besitz des K gem. § 854 I BGB K könnte seinen Besitz im Sinne des § 854 I BGB verloren haben, als er dem Dritten den PKW samt Schlüssel zur Probefahrt aushändigte. Dies wäre nicht der Fall, wenn er damit den eigenen Besitz nur gelockert hätte. In diesem Falle läge kein Besitzverlust und damit auch kein Abhandenkommen vor. [10] Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Klägerin die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug bei dessen Überlassung zum Zwecke der Probefahrt nicht nur gelockert, sondern auf den (vermeintlichen) Kaufinteressenten übertragen hat. Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht anderweitig überwachten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine gewisse Dauer (hier eine Stunde) ist keine Besitzlockerung, sondern führt - weil auch keine Besitzdienerschaft vorliegt (...) - zu einem freiwilligen Besitzverlust. [12] Für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt allerdings nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat (...). Hieran fehlt es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird. [13] Wird der Schlüssel für eine kurze Probefahrt ausgehändigt, kann dies gegen eine Übertragung des unmittelbaren Besitzes und für eine bloße Besitzlockerung sprechen, weil nur die auf eine gewisse Dauer angelegte Sachherrschaft als Besitz angesehen wird (…). Für eine unbegleitete und auch nicht durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesicherte Probefahrt von einer Stunde kann das indessen nicht gelten. Denn in diesem Fall bleibt der Verkäufer weder in einer engen räumlichen Beziehung zu dem Fahrzeug noch ist die Sachherrschaft des Probefahrers so flüchtig, dass ihm die Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache nach der Verkehrsanschauung abzusprechen wäre. Vielmehr kann dieser während der Probefahrt beliebig auf das Fahrzeug einwirken; während dem Verkäufer schon wegen der Distanz, die in einer Stunde zurückgelegt werden kann, jede Kontrolle über das Fahrzeug fehlt. Die Überlassung des Fahrzeugs kann daher nicht mit einer nur kurzfristigen Aushändigung eines Gegenstands zur Ansicht innerhalb der Sphäre des bisherigen Besitzers oder ähnlichen lediglich flüchtigen Sachbeziehungen, die den unmittelbaren Besitz nicht aufheben (…), gleichgesetzt werden. [14] (…) Dass das Fahrzeug mit roten Kennzeichen versehen übergeben worden ist, hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang, wie die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung zutreffend geltend macht, zwar nicht erörtert. Indessen ergibt sich aus der Verwendung dieser Kennzeichen nicht zwingend eine andere Beurteilung. Zwar ist richtig, dass Fahrzeuge mit roten Kennzeichen zu Prüfungs-, Probe- oder Überführungsfahrten in Betrieb gesetzt werden. Auch können solche Kennzeichen nach § 16 Abs. 2 und 3 FZV nur bestimmte Berechtigte und nur zu bestimmten Zwecken, insbesondere für Probe- und Überführungsfahrten, verwenden. Gleichwohl kann allein aus deren Verwendung nicht darauf geschlossen werden, dass der jeweilige Fahrzeugführer nicht die unmittelbare Jura Intensiv Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2020 Zivilrecht 565 Sachherrschaft über das Fahrzeug innehat, sondern entweder nur eine Besitzlockerung oder eine Besitzdienerschaft vorliegt. Gerade bei einer Überführungsfahrt wird häufig eine größere Entfernung überbrückt, wobei durchaus naheliegt, dass mit der Überführung auch externe Personen beauftragt werden, denen der unmittelbare Besitz eingeräumt worden ist. Auch entziehen die erstellten Kopien der Ausweisdokumente des vermeintlichen Kaufinteressenten und die von ihm hinterlegte Mobilfunknummer entgegen der Revisionserwiderung der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht ihre Grundlage. Eine faktische Zugriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug während der Probefahrt ergibt sich aus diesen Umständen nicht. Fraglich ist jedoch, ob K nicht dennoch unmittelbarer Besitzer geblieben ist, weil es sich beim Dritten um einen Besitzdiener im Sinne des § 855 BGB handelte. In diesem Fall kann durch ein eigenmächtiges Handeln eines Besitzdieners ein unfreiwilliger Besitzverlust im Sinne des § 935 I ZPO eintreten. [17] Ob ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, ggf. in entsprechender Anwendung des § 855 BGB als Besitzdiener des Verkäufers einzuordnen ist, ist streitig. [18] Eine Ansicht verneint dies, weil es an dem nach § 855 BGB vorausgesetzten sozialen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem potentiellen Käufer und dem Verkäufer fehle. Dieser habe - jedenfalls wenn die Probefahrt ohne seine Begleitung durchgeführt werde - keine Möglichkeit, auf das Fahrzeug bzw. den Kaufinteressenten einzuwirken (vgl.). [19] Andere Stimmen differenzieren nach den Umständen des Einzelfalls und nehmen insbesondere bei einer nur kurzzeitigen Probefahrt (20 Minuten) mit roten Kennzeichen und ohne Übergabe von Fahrzeugpapieren eine Besitzdienerschaft an (…). [20] Wiederum andere nehmen generell eine Besitzdienerschaft an (…). Verwiesen wird dabei darauf, dass § 855 BGB nicht notwendig das Vorliegen eines Abhängigkeits- oder sozialen Über-/Unterordnungsverhältnisses voraussetze, sondern lediglich eine Beziehung, welche den Besitzherrn zur jederzeitigen Weisung bzw. zum Eingreifen, etwa zum Abbruch der Fahrt berechtige (…). Jedenfalls liege in solchen Fällen eine strukturell vergleichbare Situation vor, die eine analoge Anwendung des § 855 BGB rechtfertige (…). Mit der Gebrauchsüberlassung erhalte der Probefahrer keine eigenen Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich des Besitzes. Ein Leihvertrag werde regelmäßig nicht geschlossen und ein Besitzrecht zugunsten des Interessenten nicht begründet, weil die kurzfristige Überlassung des Fahrzeugs lediglich der Kaufanbahnung diene (...). [21] Der Senat hat die Frage bisher offengelassen (…). Er entscheidet sie dahin, dass in Fällen wie dem vorliegenden weder eine unmittelbare noch eine entsprechende Anwendung des § 855 BGB in Betracht kommt. Ein Kaufinteressent, der eine Probefahrt mit einem Kraftfahrzeug unternimmt, ist nicht Besitzdiener des Verkäufers. Ist - wie hier - mit der Überlassung des Fahrzeuges keine bloße Besitzlockerung verbunden, liegt daher kein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB vor, wenn das Fahrzeug nicht zurückgegeben wurde. [22] Besitzdiener ist nach § 855 BGB, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich Jura Intensiv Gewichtiges Argument: Nicht selten überführen Dritte mittels roten Kennzeichen Kraftfahrzeuge über große Entfernungen, denen hierfür der unmittelbare Besitz eingeräumt wird. Rote Kennzeichen sprechen daher nicht zwingend für eine bloße Besitzlockerung. Auch die hinterlegte Mobilfunknummer sowie die Ausweiskopien sprechen nicht gegen eine Besitzüberlassung seitens K an den Dritten. Entscheidend: K konnte während der einstündigen Probefahrt nicht zugreifen. Wäre der Dritte hingegen nur Besitzdiener des K geworden, wäre K unmittelbarer Besitzer geblieben. Ob der Kaufinteressent bei der Probefahrt Besitzdiener wird, ist umstritten. Erste Ansicht: Ein Kaufinteressent wird bei einer Probefahrt nicht Besitzdiener gem. § 855 BGB, weil es am sozialen Abhängigkeitsverhältnis zum Verkäufer fehlt, OLG Düsseldorf, OLGR 1992, 180; Westermann/ Gursky/Eickmann, Sachenrecht, 8. Aufl., § 9 Rn 4 und 14; Münch.Komm./ Oechsler, BGB, § 935 Rn 11 Zweite Ansicht: Differenzierung nach den Umständen des Einzelfalles, KG, Beschluss vom 04.10.2018, 26 U 159/17; ähnlich BeckOGK/ Götz, BGB, § 854 Rn 138.4; BeckOK/ Fritzsche, BGB, § 855 Rn 9; Erman/ Elzer, BGB, § 855 Rn 3 und 5. Dritte Ansicht: Wer die Probefahrt unternimmt, wird generell Besitzdiener, OLG Köln, MDR 2006, 90; Münch.Komm./Schäfer, BGB, § 855 Rn 14; Palandt/Herrler, BGB, § 855 Rn 7. Ein soziales Abhängigkeitsverhältnis soll nicht nötig sein. Entscheidung des BGH: Wer die Probefahrt unternimmt, wird nicht Besitzdiener. § 855 BGB findet weder direkte noch analoge Anwendung. Wenn der Besitz nicht nur gelockert wurde, liegt kein Abhandenkommen vor, wenn der Kaufinteressent das Fahrzeug nicht zurückgibt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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