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RA Digital - 11/2021

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608 Strafrecht

608 Strafrecht RA 11/2021 LEITSÄTZE DER REDAKTION 1. Der Tatbestand des Raubes erfordert den Einsatz von Gewalt oder Drohung als Mittel zur Ermöglichung der Wegnahme einer Sache; er ist auch dann erfüllt, wenn die zunächst mit anderer Zielrichtung vorgenommene Gewalt zum Zeitpunkt der Wegnahme noch andauert oder als aktuelle Drohung mit erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und der Täter diesen Umstand bewusst dazu ausnutzt, dem Opfer, das sich dagegen nicht mehr zu wehren wagt, die Beute wegzunehmen. 2. Erforderlich hierfür ist etwa, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch Äußerungen oder sonstige Handlungen genügend erkennbar macht; es genügt nicht, wenn der andere nur erwartet, der Täter werde ihm ein empfindliches Übel zufügen. 3. War das Tatopfer zahlreichen, nicht notwendig im Zusammenhang mit Raub oder räuberischer Erpressung stehenden körperlichen Übergriffen ausgesetzt, liegt es nahe, dass der Täter für den Fall, dass sich das Opfer seinem erpresserischen Ansinnen verweigert oder einer Wegnahme entgegentritt, zumindest konkludent mit der Anwendung weiterer Gewalt droht; dies gilt insbesondere im Falle einer zeitlich an solche körperlichen Übergriffe unmittelbar anschließenden Wegnahmehandlung. 4. Das Tatbestandsmerkmal ‚bei der Tat‘ des § 250 II Nr. 3a) StGB ist nur dann erfüllt, wenn die schwere körperliche Misshandlung zur Erzwingung der Wegnahme oder zumindest zur Sicherung der Beute verübt wird; ein schlichter räumlich-zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Raub und einer schweren Misshandlung genügt hierfür hingegen nicht – dies gilt sowohl für den Fall, in dem die Misshandlung der Wegnahme unmittelbar nachfolgt, als auch dann, wenn sie ihr unmittelbar vorausgeht. Problem: Fortwirken von Gewalt als konkludente Drohung Einordnung: Strafrecht BT II / Raub und räuberische Erpressung BGH, Urteil vom 03.03.2021 2 StR 170/20 EINLEITUNG Scheitert ein Raub, § 249 I StGB, weil der Täter die Personengewalt nicht eingesetzt hat, um die Wegnahme zu ermöglichen (sog. Finalzusammenhang), so ist zu überlegen, ob die bereits abgeschlossene Gewaltanwendung u.U. als konkludente Drohung mit erneuter Gewaltanwendung fortbesteht und bzgl. dieser Drohung der erforderliche Finalzusammenhang gegeben ist. SACHVERHALT Der Geschädigte B hatte Ende November 2018 dem L zwei Mobiltelefone entwendet. Nachdem L das erfahren hatte, forderte er B mehrfach – auch unter Androhung von Gewalt – vergeblich zur Rückgabe der Geräte auf und erklärte gegenüber dem Mitangeklagten E, den B „fassen“ zu wollen. Für ein am 06.12.2018 zwischen B und E verabredetes Treffen in der Wohnung des B sagte E dem L zu, diesen nach Betreten der Wohnung zu verständigen, damit dieser die Herausgabe seiner Mobiltelefone oder aber eine Ersatzleistung für diese, notfalls unter Gewalteinsatz, würde erzwingen können. Am 06.12.2018 erschien E in Begleitung des Mitangeklagten I an der Wohnung des B. Hiervon unterrichtete E absprachegemäß den sich in der Nachbarschaft aufhaltenden L, der kurz darauf eintraf, B entgegenrief: „Denkst du, ich krieg Dich nicht?“ und sofort auf diesen einschlug. In der Wohnung versetzte L dem B mehrere Faustschläge ins Gesicht und forderte ihn auf, ihm seine Mobiltelefone herauszugeben. Auch I, der sich spätestens in diesem Moment entschlossen hatte, die beiden anderen zu unterstützen, schlug B hier ins Gesicht. B leistete, beeindruckt von den Gewalthandlungen, keinen Widerstand, stritt den Diebstahl aber wiederholt ab. L glaubte ihm nicht, forderte ihn auf, ersatzweise jedenfalls eine Kompensation für die entwendeten Mobiltelefone zu zahlen, und schlug B abermals. In der Absicht, L in seinem Verlangen gegenüber B zu unterstützen, schlugen sodann auch E und I weiter auf B ein. Als B begann, laut um Hilfe zu rufen, forderten ihn E, I und L auf, ruhig zu sein, anderenfalls werde man ihn totschlagen. Nach wenigen Minuten entschloss sich L als Druckmittel zur Durchsetzung seiner Forderung, das auf einem Tisch liegende Mobiltelefon des B als Pfand mitzunehmen, was ihm nach Überzeugung von E, I und L auch berechtigt zustand. Als er hiermit die Wohnung verließ, kam I angesichts des eingeschüchtert und verletzt auf der Couch liegenden B der Gedanke, dass er das Fernsehgerät des B für sich nutzen oder aber verkaufen könnte. Im Bewusstsein, dass B dies aufgrund der unmittelbar vorangegangenen massiven Gewalteinwirkungen dulden würde, baute I – unterstützt von E – das Gerät ab. Beide trugen das Gerät aus der Wohnung. Dem widersprach B – wie von E und I erwartet – aus Angst und unter der Wirkung der vorangegangenen Misshandlungen nicht. Jura Intensiv Haben sich E und I wegen (schweren) Raubes in Mittäterschaft, §§ 249 I, 250, 25 II StGB, strafbar gemacht? Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2021 Strafrecht 609 PRÜFUNGSSCHEMA: RAUB IN MITTÄTERSCHAFT, §§ 249 I, 25 II StGB A. Tatbestand I. Qualifiziertes Nötigungsmittel II. Fremde bewegliche Sache III. Wegnahme IV. Mittäterschaft, § 25 II StGB V. Vorsatz bzgl. I. bis IV. VI. Finalzusammenhang VII. Absicht rechtswidriger Zueignung B. Rechtswidrigkeit und Schuld LÖSUNG A. Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 3a), 25 II StGB bzgl. des Mobiltelefons Durch den Überfall auf B und die Verschaffung des Mobiltelefons des B an L könnten E und I sich wegen besonders schweren Raubes in Mittäterschaft gem. §§ 249 I, 250 II Nr. 3a), 25 II StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand E und I müssten zunächst den Tatbestand des Grunddelikts, §§ 249 I, 25 II StGB, verwirklicht haben. 1. Qualifiziertes Nötigungsmittel Durch die Schläge haben E und I Gewalt gegen eine Person angewendet. Auch haben sie angekündigt, B zu töten, also mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben gedroht. Sie haben somit qualifizierte Nötigungsmittel eingesetzt. 2. Fremde bewegliche Sache Das im Eigentum des B stehende Mobiltelefon stellt für E und I eine fremde bewegliche Sache dar. 3. Wegnahme Jura Intensiv a) Durch E und I E und I selbst haben das Mobiltelefon des B nicht weggenommen. b) Durch L, gem. § 25 II StGB zurechenbar Allerdings hat L durch das Mitnehmen des Telefons den bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden fremden Gewahrsam des B aufgehoben und neuen begründet. Für das Vorliegen des Gewahrsamsbruchs ist nach der Spezialitätstheorie bei § 249 I StGB das äußere Erscheinungsbild maßgeblich, nach der Exklusivitätstheorie die innere Willensrichtung des Opfers. Das Geschehen sah aus wie ein Nehmen des L und da der Gewahrsamsinhaber B beim Gewahrsamswechsel nicht mitgewirkt hat, hielt er seine Mitwirkung beim Gewahrsamswechsel auch nicht für erforderlich, sodass nach der inneren Willensrichtung des Opfers ebenfalls ein Gewahrsamsbruch vorliegt. L hat das Mobiltelefon somit weggenommen. E und I haben aufgrund eines gemeinsamen Tatplans arbeitsteilig die Tat mit L zusammen ausgeführt. Dabei hatten sie Tatherrschaft und Täterwillen, sodass sie Mittäter des L waren und ihnen somit seine Wegnahmehandlung gem. § 25 II StGB zuzurechnen ist. Gewalt gegen eine Person ist der unmittelbar oder mittelbar auf den Körper des Opfers bezogene, körperlich wirkende Zwang zur Überwindung geleisteten oder erwarteten Widerstands. Sache ist jeder körperliche Gegenstand. Beweglich ist eine Sache, die fortgeschafft werden kann. Fremd ist eine Sache, die zumindest auch im Eigentum einer anderen Person steht. Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht unbedingt tätereigenen, Gewahrsams. Spezialitätstheorie: BGH, Beschluss vom 24.04.2018, 5 StR 606/17, RA 2018, 557 Exklusivitätstheorie: Schönke/ Schröder, StGB, § 253 Rn 3, 8 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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