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RA Digital - 11/2022

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568 Zivilrecht

568 Zivilrecht RA 11/2022 Problem: Verkehrssicherungspflicht auf eigenem Grundstück Einordnung: Deliktsrecht OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.09.2022 17 W 17/22 LEITSATZ 1. Es ist grundsätzlich nicht die Aufgabe des Grundstückseigentümers, einen untergeordneten Zuweg zu der Terrasse ihres Wohnhauses völlig gefahrlos gegen alle erdenklichen von dem Weg ausgehenden Risiken für die Nutzer auszugestalten. 2. Kann der Nutzer dieses Zuwegs bei zweckgerichteter Benutzung unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt etwaige Sturzgefahren abwenden, bestehen für den Grundstückseigentümer keine weitergehenden Pflichten. Verkehrsrichtiges Verhalten ist ein Rechtfertigungsgrund, für den der Schädiger die Darlegungs- und Beweislast trägt, BGH GS, Beschluss vom 04.03.1957, GSZ 1/56. Die Rspr. prüft diesen Aspekt in Anknüpfung an das vom Opfer dargelegte Verhalten des Täters vor der eigentlichen Rechtswidrigkeitsprüfung. Dies ist aus gutachtentechnischen Gründen auch empfehlenswert. Es ist gleichwohl zulässig und in der Rechtswissenschaft auch sehr verbreitet, diese Frage innerhalb der eigentlichen Rechtswidrigkeitsprüfung zu beantworten. EINLEITUNG Das OLG Frankfurt musste sich mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit ein Grundstückseigentümer für einen Weg verantwortlich ist, der nicht als offizieller Zugang zur Liegenschaft dient. Der Fall ist für auch für das 2. Examen relevant. SACHVERHALT K und B sind Nachbarinnen. Anfang Februar 2021 suchte K die pflegebedürftige B in deren Haus auf. Hierzu benutzte sie erstmals nicht den vorgesehen Fußweg, sondern einen Steinweg, der parallel zur angrenzenden, von K gemieteten Garage entlang des Hauses der B verläuft. Dieser ist über eine offene Tür von der Garage aus erreichbar und verläuft von dort aus über das Grundstück der B zum Haus der B. Nach dem Gespräch verließ K gegen 18.00 Uhr die Wohnung der B auf diesem Steinweg. Auf der mit Bodenfliesen versehenen Fläche des nassen, nicht beleuchteten Weges stürzte sie in der Dunkelheit. Der Weg war zu diesem Zeitpunkt mit Blättern, Ästen und Moos bedeckt. Aufgrund des Sturzes zog sich K eine Scham-, Sitz- und Kreuzbeinfraktur zu. Die notwendige Operation führte zu erheblichen körperlichen Beschwerden sowie zu Verdienstausfällen. K verlangt von B Schadensersatz. Zu Recht? LÖSUNG Anspruch der K gegen B auf Schadensersatz gem. § 823 I BGB A. Ergebnis K könnte gegen B einen Anspruch auf Schadensersatz gem. § 823 I BGB haben. Jura Intensiv I. Rechtsgutsverletzung Dies setzt voraus, dass K in einem der in § 823 I BGB genannten Rechtsgüter verletzt wurde. Aufgrund der Scham-, Sitz- und Kreuzbeinfraktur liegt eine Körperverletzung bei K, mithin eine Rechtsgutsverletzung, vor. II. Verhalten der B B hat nicht dafür Sorge getragen, dass der auf ihrem Grundstück verlaufende Steinweg von Blättern, Ästen und Moss befreit wurde. Folglich liegt ein Unterlassen vor. III. Haftungsbegründende Kausalität Im Falle eines Unterlassens oder einer mittelbar schädigenden Handlung, etwa eines Ingangsetzen eines Kausalverlaufs, der eigener Handlungen des Opfers zur Erfolgsverursachung bedarf, findet eine den Rechtswidrigkeitsvorwurf auslösende Verhaltenszurechnung nur statt, wenn der Anspruchsgegner eine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Verkehrssicherungspflichtig ist, wer eine Gefahrenquelle eröffnet. Dies kann aufgrund der Eigentümerstellung gegeben sein. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2022 Zivilrecht 569 [10] Grundsätzlich trifft die Antragsgegnerin eine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf ihr Grundstück und das in ihrem Eigentum stehende Gebäude. Sie muss auch damit rechnen, dass Fußgänger diesen Weg benutzen. [11] Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, ist derjenige, der eine Gefahrenlage - gleich welcher Art - schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (...). Damit steht fest, dass B Trägerin der ihr Grundstück betreffenden Verkehrssicherungspflichten ist. Fraglich ist aber, welchen Inhalt diese Pflichten haben und ob B solche verletzt hat. [12] Zu berücksichtigen ist (...), dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn letztlich derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (...). Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte - so hart dies im Einzelfall sein mag - den Schaden selbst tragen (...). [14] Es ist nicht Aufgabe der Antragsgegnerin, den Zuweg zu der Terrasse ihres Wohnhauses völlig gefahrlos gegen alle erdenklichen von dem Weg ausgehenden Risiken für die Nutzer auszugestalten. Die Antragstellerin muss vielmehr in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise nur diejenigen Gefahren beseitigen, die für den Nutzer, der selber die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht erkennbar sind, mit denen dieser nicht rechnen muss und auf die er sich nicht einzurichten vermag. Der Nutzer dieses Zuwegs hat grundsätzlich dessen Zustand so hinzunehmen, in dem er sich erkennbar befindet, und sich den gegebenen Verhältnissen anzupassen (...). Ist der Nutzer des Zuwegs bei zweckgerichteter Benutzung unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt befähigt, selber etwaige Schäden abzuwenden, bestehen für die Antragsgegnerin keine weitergehenden Pflichten. Es ist vielmehr von dem Nutzer in unübersichtlichen Situationen eine erhöhte Aufmerksamkeit zu verlangen (...). Jura Intensiv Ständige Rechtsprechung: vgl. BGH, Urteil vom 06.02.2007, VI ZR 274/05 Rn. 14 Niemand ist verpflichtet, Vorkehrungen gegen sämtliche, abstrakt denkbaren Gefahren zu treffen, sondern nur solche, welche die Verkehrsauffassung von einem umsichtigen, vorsichtigen und gewissenhaften Zeitgenossen in zumutbarem Umfang erwartet, BGH, Urteile vom 06.02.2007, VI ZR 274/05 und vom 09.09.2008, VI ZR 279/06. Hier verwechselt der Senat einmal die Personen. Natürlich muss nur die Antragsgegnerin (B) Gefahren beseitigen, denn sie ist Eigentümerin. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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