602 Referendarteil: Öffentliches Recht RA 11/2022 Typische Formulierung in der Praxis Voraussetzung für Widerlegung der Regelvermutung des § 5 II WaffG Abstrakte Rechtsauslegung Überleitung zur konkreten Subsumtion Anzahl der Tagessätze Abschluss des Erlaubnisverfahrens nicht abgewartet Erstmalige strafrechtliche Verurteilung irrelevant Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Vermutung der Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) und Buchst. b) WaffG auch nicht durch außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls in einer Weise erschüttert, dass sie als widerlegt anzusehen wäre. Ein Abweichen von der Vermutung der Regelunzuverlässigkeit kommt nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt. Darüber hinaus ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, dass bereits eine einzige Verurteilung wegen einer der in § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) bis c) WaffG genannten Straftaten die Regelvermutung begründet, wenn eine Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verhängt worden ist. Die Vermutung kann daher grundsätzlich nicht schon dann entkräftet sein, wenn der Betroffene ansonsten strafrechtlich nicht aufgefallen ist. Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich in Bezug auf die von dem Kläger begangene Straftat kein Ausnahmefall feststellen. Bereits die Höhe der verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen spricht gegen ein Bagatelldelikt; sie liegt mit den erkannten 90 Tagessätzen auch nur noch knapp in dem Bereich, in dem Verurteilungen nach §§ 5 ff. BZRG zwar für eine gewisse Zeit im Bundeszentralregister, nach § 32 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a) BZRG indes nicht im Führungszeugnis erscheinen. Von einer nur geringfügigen Gesetzesüberschreitung kann daher schon angesichts der Höhe der Strafe, die immerhin auch um 30 Tagessätze über dem liegt, was das Gesetz in § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG als Mindeststrafe für die Regelvermutung genügen lässt, keine Rede sein. Erschwerend – und nicht etwa, wie der Kläger meint, entlastend – kommt hinzu, dass der Kläger vor seiner Tat, nämlich bereits am 4. November 2019, einen Kleinen Waffenschein gemäß § 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG beantragt hatte. Dies zeigt zum einen, dass ihm positiv bewusst gewesen sein muss […], zum Führen einer Schreckschusswaffe nicht berechtigt zu sein; andernfalls hätte es aus seiner Sicht überhaupt keines Antrags auf Erteilung eines Kleines Waffenscheins bedurft. Zum anderen offenbart dies, dass der Kläger bereit ist, sein eigenes Interesse dem der Gemeinschaft überzuordnen, indem er nämlich die in den waffenrechtlichen Vorschriften zum Ausdruck kommende Entscheidung des Gesetzgebers, das mit Waffen einhergehende Sicherheitsrisiko durch Erlaubnisvorbehalte möglichst gering halten zu wollen, nicht respektiert. Jura Intensiv Soweit der Kläger weiter geltend macht, er sei erstmalig in den Fokus der Strafjustiz geraten, kommt es darauf – wie oben gesehen – nicht an. Entsprechendes gilt im Übrigen auch für das weitere Argument des Klägers, er habe die Schreckschusspistole bereits am 6. Juli 2011 erworben und habe seither – abgesehen von dem Vorfall am 9. Oktober 2020 – damit keinen „Unfug“ angestellt. Auch die weiteren Argumente des Klägers lassen weder einzeln noch in ihrer Gesamtschau betrachtet die Regelvermutung entfallen: Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 11/2022 Referendarteil: Öffentliches Recht 603 Soweit er wiederholt in verschiedenen Schreiben und Schriftsätzen sinngemäß vortragen lässt, es sei der Beklagte, der die entscheidende Ursache dafür gesetzt habe, dass es überhaupt zu dem strafrechtlichen Vorfall am 9. Oktober 2020 gekommen sei, indem dieser nämlich seinen Antrag auf Erteilung des Kleinen Waffenscheins aus dem Jahre 2019 nicht zügig bearbeitet habe, verfängt dies und das damit im Zusammenhang stehende weitere Vorbringen nicht. Selbst wenn dem Beklagten […] der Vorwurf zu machen sein sollte, das Verwaltungsverfahren absichtlich in die Länge gezogen zu haben, berechtigte dies nicht dazu, geltendes Strafrecht zu missachten und eine Schreckschusspistole ohne die erforderliche behördliche Erlaubnis zu führen. Die Rechtsordnung sieht für derartige Fälle Möglichkeiten des Rechtschutzes vor, sei es das Erheben einer – rechtzeitigen – Untätigkeitsklage, […] sei es behördlicher oder gerichtlicher Eilrechtschutz. Der Kläger hätte die – aus seiner Sicht bestehende – pflichtwidrige Untätigkeit des Beklagten somit nicht bis zu dem Vorfall am 9. Oktober 2020 hinnehmen müssen, sondern hätte bereits damals zu Rechtsbehelfen greifen können. In einem „milden Licht“ kann das Verhalten des Klägers deshalb auch nicht aus dieser Warte erscheinen. Soweit der Kläger sich darauf beruft, die Schreckschusspistole aus „Notwehr“ bei sich geführt zu haben, um seine Freundin zu beschützen, vermag auch dies die Regelvermutung nicht zu widerlegen. Eine Notwehrbzw. Nothilfelage i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB – ihr tatsächliches Vorliegen generell einmal dahingestellt, das Vorbringen erscheint dem Gericht insgesamt eher als eine Schutzbehauptung – bezöge sich nach dem, was der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts B-Stadt vom 13. Januar 2022 erklärt hat, schon gar nicht – wie er aber nunmehr vorträgt – auf seine Freundin, sondern allenfalls auf ihn selbst („Mir entgegen kam ein unbekannter Mann (…), und hat zum Schlag ausgeholt. (..). Ich habe dann die Gaspistole gezogen“, Bl. 81 f. der Strafakte). Aus diesem Grund erscheint speziell auch der Vortrag im hiesigen Verwaltungsstreitverfahren unglaubhaft, dass der Kläger aus Nothilfe für seine Freundin gehandelt haben will. Außerdem könnte diese Einlassung auch nicht die gesamte Tat, nämlich das Führen einer Waffe als die Ausübung der tatsächlichen Gewalt außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume, des eigenen befriedeten Besitztums oder einer Schießanlage (vgl. § 1 Abs, 4 WaffG i.V.m. Anlage 1 Abschnitt 2 Nr. 4 WaffG), rechtfertigen, denn das Führen der Waffe beschränkte sich offensichtlich nicht auf die Zeitspanne der angeblichen Nothilfelage. Jura Intensiv Dass der bloße Erwerb und Besitz der betreffenden Schreckschusspistole ausnahmsweise nicht erlaubnispflichtig ist, ergibt sich – anders als der Kläger es darstellen lässt – nicht aus den Feststellungen des Amtsgerichts B-Stadt, sondern aus § 2 Abs. 2 WaffG i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 Nr. 1.3 WaffG und ist ebenso wenig ein Grund dafür, das verwirkte Unrecht als besonders milde erscheinen zu lassen. Das Gericht hat schließlich auch bereits […] darauf hingewiesen, dass die Prüfung der Zuverlässigkeit nach § 34d bzw. § 34f GewO anderen Voraussetzungen unterliegt als diejenige nach § 5 WaffG. Wenn dem Kläger also eine entsprechende Erlaubnis nach der Gewerbeordnung erteilt sein mag, wird hiermit lediglich bescheinigt, dass er nach den dortigen Maßstäben zuverlässig ist, d.h. nach dem Gesamteindruck seines Langes Verwaltungsverfahren beseitigt nicht Unzuverlässigkeit Notwehr (-) Strafurteil entlastet Kläger nicht Zuverlässigkeit i.S.d. GewO bedeutet nicht automatisch waffenrechtliche Zuverlässigkeit. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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