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RA Digital - 11/2022

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606 Strafrecht

606 Strafrecht RA 11/2022 LÖSUNG A. Strafbarkeit gem. §§ 211, 22, 23 I StGB Dadurch, dass A den V mit seinem Pkw anfuhr, könnte A sich wegen versuchten Mordes gem. §§ 211, 22, 23 I StGB zum Nachteil des V strafbar gemacht haben. I. Vorprüfung Da V nicht gestorben ist, ist keine Vollendung des Delikts gegeben. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich beim Mord aus dessen Verbrechenscharakter, §§ 211 I, 12 I StGB, i.V.m. § 23 I StGB. Tatentschluss ist der Wille zur Verwirklichung der objektiven Tatumstände bei gleichzeitigem Vorliegen eventuell erforderlicher besonderer subjektiver Tatbestandsmerkmale. BGH, Urteil vom 07.02.2022, 5 StR 542/20, NJW 2022, 1826; Urteil vom 11.11.2020, 5 StR 124/20, RA 2021, 273 Zu niedrigen Beweggründen bei politischen Motiven: BGH, Beschluss vom 07.10.2021, AK 43/21; Beschluss vom 02.05.2018, 3 StR 355/17, NStZ-RR 2018, 245 II. Tatentschluss A müsste Tatentschluss zur Begehung eines Mordes gehabt haben. 1. Bzgl. Tötung eines anderen Menschen A hat den Tod des V billigend in Kauf genommen, hatte also Eventualvorsatz und somit Tatentschluss zur Tötung eines anderen Menschen. 2. Mordmerkmale der 1. und 3. Gruppe des § 211 II StGB: Niedrige Beweggründe A könnte aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. „[22] Ob die Beweggründe zur Tat ‚niedrig‘ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb besonders verachtenswert erscheinen, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu beurteilen. [23] Bei der Bewertung des mutmaßlichen Tatgeschehens stellen sich die Beweggründe des Angeschuldigten hiernach als ‚niedrig‘ dar: Er ist dringend verdächtig, den geschädigten Polizeibeamten aufgrund dessen Funktion als Organ der für den Angeschuldigten nicht existenten Bundesrepublik Deutschland (bzw. von deren Teilstaat) angegriffen zu haben. Ihm ging es darum, seine - ersichtlich unzutreffende - Rechtsauffassung gewaltsam durchzusetzen und sich aus egoistischen Motiven staatlicher Einflussnahme zu entziehen. Seine Überzeugung legitimierte aus seiner Sicht den Tod des Geschädigten, den er in entpersönlichter Weise gleichsam als Repräsentanten der von ihm nicht anerkannten Staatsgewalt ansah. Die Tötung hatte ihre Wurzel in der ideologischen Überzeugung des Angeschuldigten, die darauf gerichtet ist, sich bewusst über die rechtlichen Regeln hinwegzusetzen, deren Beachtung für das Funktionieren eines demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Gemeinwesens konstitutiv ist. Eine solche Motivlage erweist sich nicht nur als im besonderen Maß gemeinschaftsbedrohlich, sondern ist mit grundlegenden gesellschaftlichen Wertentscheidungen schlechthin unvereinbar und steht damit sittlich auf tiefster Stufe.“ Jura Intensiv A hat aus niedrigen Beweggründen gehandelt und somit eines der Mordmerkmale der 1. Gruppe des § 211 II StGB verwirklicht. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 11/2022 Strafrecht 607 II. Unmittelbares Ansetzen, § 22 StGB Spätestens in dem Moment, in dem der Pkw des A mit V kollidierte, hat A auch zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt. III. Rechtswidrigkeit und Schuld A handelte rechtswidrig und schuldhaft. IV. Kein Rücktritt gem. § 24 StGB Anhaltspunkte für einen strafbefreienden Rücktritt des A gem. § 24 StGB sind nicht ersichtlich. Unmittelbares Ansetzen ist gegeben, wenn der Täter die Schwelle zum „jetzt geht es los“ überschreitet, was der Fall ist, wenn er Handlungen vornimmt, die in die Tatbestandsverwirklichung unmittelbar einmünden sollen und deshalb das geschützte Rechtsgut aus Sicht des Täters bereits konkret gefährdet ist. V. Ergebnis A ist strafbar gem. §§ 211, 22, 23 I StGB. B. Strafbarkeit gem. §§ 315b I Nr. 3 III, 315 III StGB Durch das Zufahren auf V könnte A sich auch wegen qualifizierten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. §§ 315b I Nr. 3, III, 315 III StGB strafbar gemacht haben. I. Tatbestand 1. Grunddelikt: § 315b I Nr. 3 StGB A müsste zunächst den Tatbestand des Grunddelikts, § 315b I Nr. 3 StGB, verwirklicht haben. a) Tathandlung: Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff, § 315b I Nr. 3 StGB Durch das Zufahren auf V könnte A einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff i.S.v. § 315b I Nr. 3 StGB vorgenommen haben. Grundsätzlich erfasst § 315b I Nr. 3 StGB – im Gegensatz zu § 315c StGB – nur verkehrsfremde Eingriffe, also Verhaltensweisen, die von außen auf den Verkehr einwirken. Ausnahmsweise wird die tatbestandliche Sperrwirkung des § 315c StGB jedoch bei verkehrsinternen Verhaltensweisen durchbrochen, wenn der Verkehrsteilnehmer den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr „pervertiert“ (sog. verkehrsfeindlicher Inneneingriff). Für einen solchen verkehrsfeindlichen Inneneingriff ist jedoch mehr erforderlich als ein bloß fehlerhaftes Verhalten eines Verkehrsteilnehmers. Der Täter muss sein Fahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzen und dieses mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz missbrauchen. A ist mit seinem Pkw auf V zugefahren, um nicht kontrolliert und festgenommen zu werden. Er hat also das Fahrzeug als Gewalt- und nicht als Fortbewegungsmittel benutzt und dieses somit bewusst zweckentfremdet. Da er auch mit verkehrsfeindlicher Einstellung und mit Tötungs-, also Schädigungsvorsatz (s.o.) handelte, liegt ein verkehrsfeindlicher Inneneingriff vor, sodass der Tatbestand des § 315b I StGB Anwendung findet und A einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff i.S.v. § 315b I Nr. 3 StGB vorgenommen hat. Jura Intensiv BGH, Beschluss vom 09.02.2010, 4 StR 556/09, NStZ 2010, 391 Vgl. hierzu auch Schneider, JURA INTENSIV, Strafrecht BT III, Rn 983 ff. b) Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs Die Tat wirkte sich auf einer öffentlichen Verkehrsfläche auf die Sicherheit eines anderen Verkehrsteilnehmers aus, mithin wurde die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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