562 Zivilrecht RA 11/2022 I. Besitz der B B hat gem. § 854 I BGB nach der Aushändigung des Pkw durch die Staatsanwaltschaft die tatsächliche Herrschaft, getragen von einem natürlichen Willen, wiedererlangt und ist mithin unmittelbare Besitzerin des Pkw. II. Eigentum des K Fraglich ist, ob K Eigentümer des Pkw ist. Ursprünglich war B Eigentümerin. Mangels Einigung mit U hat sie das Eigentum nicht an diesen gem. § 929 S. 1 BGB verloren. Jedoch könnte K gem. § 932 I BGB das Eigentum am Pkw von P gutgläubig erworben haben. Die Bearbeitung des Übergabetatbestandes, die Tatsache, dass P als unmittelbare Besitzerin dem K den unmittelbaren Besitz verschafft hat, ist wegen des Rechtsscheins, der dadurch erzeugt wird und an den der gute Glaube des K anknüpft, sehr wichtig. Aus diesem Grunde ist der etwas breit geratene Prüfungsumfang hier gerechtfertigt. Erstes Problem: Die gefälschten Papiere! Das OLG Celle nimmt wegen des gefälschten Kfz-Briefs immer wieder Bezug zum „Probefahrt II“- Urteil des BGH vom 18.09.2020, V ZR 8/19, welches Sie in RA 11/2020, 561 ff. unbedingt nachlesen sollten. Zur Namensübereinstimmung: BGH, Urteil vom 01.03.2013, V ZR 92/12 1. Rechtsgeschäft gem. § 929 BGB d. einen Nichtberechtigten Ein gutgläubiger Erwerb gem. § 932 I 1 BGB setzt voraus, dass ein Nichtberechtigter eine bewegliche Sache rechtsgeschäftlich i.S.d. § 929 S. 1 BGB an einen Erwerber veräußert. Dies setzt eine Einigung des Erwerbers mit dem Nichtberechtigten sowie eine Übergabe der Sache durch den Nichtberechtigten an den Erwerber voraus. Hier haben sich P, die weder Eigentümerin des Pkw noch von B zur Verfügung ermächtigt worden war, und K gem. § 929 S. 1 BGB dinglich über den Übergang des Eigentums am Pkw auf K geeinigt. Eine Übergabe i. S. d. § 929 S. 1 BGB liegt vor, wenn der Veräußerer seinen Besitz an der zu übereignenden Sache vollständig aufgibt und auf seine Veranlassung der Erwerber den Besitz an dieser erlangt. P händigte K sowohl den Pkw als auch den Schlüssel zu diesem aus und verschaffte somit K die tatsächliche Sachherrschaft am Pkw. Folglich liegen Einigung und Übergabe gem. § 929 S. 1 BGB vor. 2. Rechtsschein des Eigentums Aufgrund der Übergabe des Pkw durch die unmittelbare Besitzerin P, liegt grundsätzlich ein Rechtsschein der Berechtigung vor. Diese Vermutung zugunsten der P ergibt sich auch aus § 1006 I BGB. 3. Guter Glaube gem. § 932 II BGB Der Rechtsschein wäre aber zerstört worden, wenn K beim Erwerb von P gem. § 932 II BGB nicht in gutem Glauben gewesen wäre. Dies wäre der Fall, wenn K infolge grober Fahrlässigkeit verkannt hätte, dass P nicht die Eigentümerin des Pkw gewesen ist. Hierfür könnte zunächst sprechen, dass die Zulassungspapiere gefälscht waren. Jura Intensiv [34] Der Besitz des Fahrzeugs allein begründet nicht den für den Gutglaubenserwerb nach § 932 BGB erforderlichen Rechtsschein. Vielmehr gehört es regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber den Kraftfahrzeugbrief (§ 25 Abs. 4 Satz 2 StVZO aF) bzw. die Zulassungsbescheinigung Teil II (§ 12 Abs. 6 FZV) vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen (…). Kommt der Erwerber dieser Obliegenheit nach und wird ihm ein gefälschter Kraftfahrzeugbrief vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten (…). Bei einer Übereinstimmung des Namens des Veräußerers mit den Eintragungen in den Fahrzeugpapieren kann der Erwerber – vorbehaltlich anderweitiger Anhaltspunkte – auf die Eigentümerstellung des Veräußerers vertrauen (…). Auch wenn der Veräußerer im Besitz des Fahrzeugs und des Briefes ist, kann der Erwerber Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 11/2022 Zivilrecht 563 gleichwohl bösgläubig sein, wenn besondere Umstände seinen Verdacht erregen mussten und er diese unbeachtet lässt. Eine allgemeine Nachforschungspflicht des Erwerbers besteht hingegen nicht (…). [42] Von der Identität der Veräußerin hatte sich der Kläger anhand des von ihr vorgelegten Personalausweises überzeugt. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht bekundet hat, hielt er die Verkäuferin mit dem Lichtbild auf dem Personalausweis nach Gesicht und Haarfarbe für übereinstimmend. (…) Folglich führt es hier nicht zur Bösgläubigkeit des K, dass er auf die Fälschung hereingefallen ist. Fraglich ist aber, ob der in bar abgewickelte Straßenverkauf hier zur Bösgläubigkeit des K geführt hat. [44] Entgegen der Ansicht der Berufung löst auch ein Straßenverkauf als solcher keine Nachforschungspflicht des Erwerbers aus (…). Die hierzu ergangene und von der Berufung zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bezieht sich auf einen Kauf von einem Gebrauchtwagenhändler, der überdies nicht als Halter in dem Brief eingetragen ist (…). Auf den Privatverkauf, bei dem der Veräußerer grundsätzlich in der Zulassungsbescheinigung Teil II eingetragen sein muss, lässt sich diese Rechtsprechung nicht übertragen (…). Folglich führte auch der Barverkauf in einem Wohngebiet nicht zum bösen Glauben des K im Sinne des § 932 II BGB. 4. Kein Abhandenkommen gem. § 935 I BGB Ein gutgläubiger Erwerb scheidet jedoch gem. § 935 I 1 BGB aus, wenn B die Sache bei Aushändigung an U abhanden gekommen wäre. Eine Sache kommt gem. § 935 I 1 BGB im Falle des unfreiwilligen Besitzverlustes des Eigentümers abhanden. Fraglich ist, ob dies geschah, als B den Pkw und den Autoschlüssel an U zwecks unbegleiteter Probefahrt aushändigte, die eine Stunde dauern sollte. [25] Der unmittelbare Besitz an einer Sache wird gemäß § 854 Abs. 1 BGB durch die tatsächliche Gewalt über die Sache erworben. In wessen tatsächlicher Herrschaftsgewalt sich die Sache befindet, hängt maßgeblich von der Verkehrsanschauung ab, also von der zusammenfassenden Wertung aller Umstände des jeweiligen Falles entsprechend den Anschauungen des täglichen Lebens (…). [26] Für die Besitzverhältnisse an einem Kraftfahrzeug kommt es in der Regel darauf an, wer die tatsächliche Sachherrschaft über die Fahrzeugschlüssel ausübt. Die Übergabe eines Schlüssels bewirkt allerdings nur dann einen Besitzübergang, wenn der Übergeber die tatsächliche Gewalt an der Sache willentlich und erkennbar aufgegeben und der Empfänger des Schlüssels sie in gleicher Weise erlangt hat. Hieran fehlt es etwa, wenn der Schlüssel zwecks bloßer Besichtigung des Fahrzeugs übergeben wird (…). [27] Die Überlassung eines Kraftfahrzeugs durch den Verkäufer zu einer unbegleiteten und auch nicht durch technische Vorrichtungen, die einer Begleitung vergleichbar sind, gesicherten Probefahrt eines Kaufinteressenten auf öffentlichen Straßen für eine Dauer von einer Stunde ist keine Besitzlockerung, sondern führt zu einem freiwilligen Besitzverlust (…). Jura Intensiv 2. Problem: Das Bargeschäft auf der Straße im Wohngebiet. Auf diese Urteile hatte sich die Berufungsklägerin gestützt: BGH, Urteil vom 05.02.1975, VIII ZR 151/73 und Urteil vom 09.10.1991, VIII ZR 19/91. Das OLG Celle verneint aber die Vergleichbarkeit der Sachverhalte. Der BGH hatte in der „Probefahrt II“- Entscheidung in RA 11/2020, 561 ff. in erschöpfender Weise sehr lehrreich begründet, warum der unbegleitete Probefahrer kein Besitzdiener i. S. d. § 855 BGB ist (keine soziale Abhängigkeit, keine Weisungsgebundenheit). Ferner sind die Ausführungen des BGH, warum der soziale Kontakt gem. § 311 II Nr. 1 BGB zum mittelbaren Besitz gem. § 868 BGB führen kann, sehr spannend. Selbstverständlich können diese Ausführungen auch in einer Klausur breit ausgeführt werden. Wir konzentrieren uns im vorliegenden Fall aber auf das Neue, nämlich auf die Frage der Besitzlockerung aufgrund der SIM-Karten. Grundsätzlich keine Besitzlockerung Für eine Aufgabe des unmittelbaren Besitzes sprechen hier die Aushändigung der Fahrzeugschlüssel durch B an U sowie der Umstand, dass eine Begleitung © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis
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