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RA Digital - 12/2017

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638 Referendarteil:

638 Referendarteil: Zivilrecht RA 12/2017 Die Beklagte übergab ihnen daraufhin die Wohnung nicht. Die Kläger beantragen, die Beklagte im Wege einer einstweiligen Verfügung zu verpflichten, ihnen die zu der Wohnung Nr. 15 gehörenden Schlüssel herauszugeben. Hier war die Beklagte als Unternehmerin des Bauträgervertrags vor Abnahme des Bauwerks verpflichtet, die Mangelfreiheit zu beweisen, weshalb das Bestreiten der Mängel als streitiges Vorbringen der Beklagten darzustellen ist. Die einstweilige Verfügung ist begründet, wenn Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund i.S.d. §§ 935, 940 ZPO bestehen. Verfügungsanspruch ist der zu sichernde Anspruch, dessen Bestehen aufgrund summarischer Prüfung festzustellen ist. Summarische Prüfung bedeutet insbesondere, dass kein Vollbeweis erforderlich ist, sondern auch eine Glaubhaftmachung ausreicht. Das Kammergericht sieht in dem Antrag sowohl eine einstweilige Sicherungsverfügung gem. § 935 ZPO als auch eine Regelungsverfügung gem. § 940 ZPO. Beim Verfügungsgrund kann man sich darüber streiten, ob er eine Zulässigkeits- oder eine Begründetheitsvoraussetzung ist. Auch wenn man ihn als Zulässigkeitsvoraussetzung ansieht, wird er in aller Regel erst nach dem Verfügungsanspruch geprüft. Die Beklagte beantragt, die einstweilige Verfügung zurückzuweisen. Sie behauptet, die von den Klägern vorgetragenen Mängel lägen nicht vor. ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die einstweilige Verfügung ist zulässig und weit überwiegend begründet, wobei den Klägern der Anspruch auf Übergabe der Schlüssel und damit der Wohnung nur gegen Zahlung eines weiteren Teils der zweiten Rate zustand. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund bestehen, da den Klägern gegen die Beklagte ein Anspruch auf Übergabe der Schlüssel hat (Verfügungsanspruch) und die vorläufige Anordnung der Übergabe gem. §§ 935, 940 ZPO zur Vermeidung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Verfügungsgrund). Die Kläger haben einen Anspruch gegen die Beklagte auf Übergabe sämtlicher Wohnungstür-, Haustür-, Keller- und Briefkastenschlüssel, die zu der von ihnen gekauften Wohnung Nr. 15 gehören. Nach § 3 des Bauträgervertrages, insbesondere § 3.1 und § 3.5, hat sich die Beklagte gegenüber den Klägern verpflichtet, die Wohnanlage insgesamt zu errichten und die Wohnung Nr. 15 bezugsfertig herzustellen. Daraus folgt, dass die Beklagte nach bezugsfertiger Herstellung auch zur Übergabe der Wohnung verpflichtet ist. Damit schuldet sie nach Bezugsfertigkeit, die unstreitig vorliegt, auch die Übergabe aller zur Wohnung gehörenden Schlüssel an die Kläger, damit diese sich selbst den Besitz an der Wohnung verschaffen können. Jura Intensiv Auch der nach §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund liegt vor. Die Kläger begehren mit ihrem Antrag nicht nur die Sicherung eines Rechts oder Zustands, sondern eine Regelung, die den status quo zu ihren Gunsten einstweilen verbessert, indem sie in den Stand gesetzt werden, die Wohnung, die ihnen die Beklagte zu den angebotenen Zahlungen verweigern möchte, in Besitz zu nehmen und zu nutzen. Eine solche einstweilige Verfügung in Gestalt einer Regelungs- oder Leistungsverfügung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 940 ZPO). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben: Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2017 Referendarteil: Zivilrecht 639 Die Kläger haben gegen die Beklagte einen fälligen Anspruch auf die Herstellung und Übergabe der Wohnung, mit dessen Erfüllung sich die Beklagte unstreitig seit einem Jahr in Verzug befindet. Die Wohnung ist nunmehr fertiggestellt. Auch wenn die Beklagte deren Übergabe nur Zug um Zug gegen Zahlung schuldet, steht dieser Umstand dem Erlass einer diesbezüglichen einstweiligen Verfügung nicht generell entgegen. Selbst wenn durch eine solche Entscheidung die Hauptsache teilweise „vorweggenommen” werden sollte, wie die Beklagten argumentieren, gilt das Verbot einer solchen Vorwegnahme der Hauptsache nicht absolut. Eine wichtige Einschränkung liegt im Gebot effektiven Rechtsschutzes, das aufgrund seiner Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs. 3 GG) Verfassungsrang hat und somit im Zweifel den Vorrang gegenüber dem Vorwegnahmeverbot genießt. „II.2. a) In diesem Sinne muss das Rechtsschutzanliegen eines Wohnungskäufers vorrangig sein, wenn und soweit bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes festgestellt werden kann, dass der in Anspruch genommene Bauträger auch unter Berücksichtigung seiner Einrede aus § 320 BGB die Übergabe der Wohnung unberechtigt verweigert. Für den Erwerber stellt es eine erhebliche Beeinträchtigung dar, wenn ihm die bezugsreif hergestellte Wohnung nicht übergeben wird, denn seine Lebensplanung ist im Zweifel auf den Bezug zum vereinbarten Zeitpunkt ausgerichtet. Natürlich könnte er vorübergehend in eine andere Wohnung, eine Ferienwohnung oder ein Hotel ziehen. Dadurch entstehen aber zusätzliche Kosten, die mit zunehmenden Zeitablauf beträchtlich sein können, die finanziert werden müssen und für die der Erwerber am Ende der Streitigkeit mit dem Bauträger je nach dessen finanzieller Leistungsfähigkeit möglicherweise keinen Ersatz erhält.“ Aufgrund dieser Interessenlage gibt es keinen durchgreifenden Grund, dem Gläubiger beim Bauträgervertrag den Erlass einer auf Übergabe der Wohnung gerichteten einstweiligen Verfügung zu verweigern, wenn auch unter den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zuverlässig feststellbar ist, dass nach dem materiellen Recht ein solcher Anspruch einredefrei gegen den Bauträger besteht. Diese Voraussetzung ist nicht nur dann erfüllt, wenn der Erwerber dem Bauträger Zug um Zug gegen die Übergabe der Wohnung die Zahlung der vollständigen Rate angeboten hat. Vielmehr ist es unschädlich, wenn der Erwerber von dieser Rate bzw. vom bei Bezugsfertigkeit geschuldeten Zahlungsstand Abzüge vornimmt, solange sich die Berechtigung dieser Abzüge im einstweiligen Rechtsschutz zweifelsfrei klären lässt. Jura Intensiv Nach diesem Maßstab besteht ein Grund zum Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen materiell-rechtlich im einstweiligen Verfügungsverfahren unzweifelhaft feststellbaren Anspruch auf Übergabe der Wohnung, wenn sie von der zweiten Rate nicht mehr als 52.488,70 € einbehalten. Grundsätzlich darf die Entscheidung im Verfahren nach den §§ 935 ff. ZPO die Hauptsache nicht vorwegnehmen. Allerdings gibt es, wie bei jedem Grundsatz, Ausnahmen. Eine bekannte Ausnahme besteht in der so genannten Leistungsverfügung analog § 940 ZPO, deren Voraussetzungen hier nicht vorlagen. In diese Richtung hatte die Beklagte argumentiert. Hier bildet das aus Art. 20 III GG abzuleitende Gebot effektiven Rechtsschutzes die Ausnahme vom Vorwegnahmeverbot. Näheres bei Zöller/Vollkommer, ZPO, Einleitung, Rn 48 ff. und Thomas/Putzo/Reichhold, ZPO, Einleitung I Rn 29. Die Zulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache als Bestandteil des Verfügungsgrundes hängt hier von einer materiell-rechtlichen Prüfung ab. Dies zeigt schön die Komplexität des einstweiligen Rechtsschutzes, in dem prozessuale und materiellrechtliche Fragen stark ineinander verschränkt sind. Hier ist das Argument, dass die Nachteile für den Erwerber erheblich sind und er dem vollen Insolvenzrisiko des Bauträgers ausgeliefert ist. Für das Bestehen des Übergabeanspruchs ist es unschädlich, wenn der Erwerber berechtigte Abzüge vornimmt. Der Übergabeanspruch besteht, wenn die Kläger nur so viel einbehalten, wie es den feststellbaren Ansprüchen entspricht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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