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RA Digital - 12/2019

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622 Zivilrecht

622 Zivilrecht RA 12/2019 Die Klausel verstößt nicht gegen § 476 II BGB. Die Zitierweise im Urteil, § 475 II BGB aF, beruht darauf, dass sich der Fall zeitlich vor dem 01.01.2018 zugetragen hat. Haftungsbeschränkung auf 1 Jahr bei gebrauchten Sachen gem. § 476 II BGB Der EuGH hat in seinem Urteil vom 13.07.2017, C-133/16, entschieden, dass der deutsche Gesetzgeber den Art. 7 I der RiL 1999/44/EG richtlinienwidrig umgesetzt hat. Die Haftung des Verkäufers darf auf ein Jahr ab Lieferung begrenzt werden, nicht aber die Dauer der Verjährungsfrist. Auf diesen Fauxpas des deutschen Gesetzgebers kommt es hier aber nicht an, weil § 476 II BGB ohnehin nicht zur Anwendung kommt. Hier könnte die Ausnahmeregelung des § 474 II 2 BGB greifen, weil das Pferd in einer öffentlichen Versteigerung erworben wurde. Zu prüfen bleibt, ob es sich um ein gebrauchtes Pferd handelt. Tiere sind nicht schon ab ihrer Geburt „gebraucht“. BGH, Urteil vom 15.11.2006, VIII ZR 3/06 Systematisches und historisches Argument: Der Gesetzgeber hat bei der Reform des Schuldrechts auf besondere Regelungen zum Tierkauf verzichtet. Das BGB von 1900 enthielt Regeln zum Tierkauf. Beschaffenheitsmängel nach I.1 (Angaben im Auktionskatalog zur Abstammung, zum Alter, Geschlecht und Farbe) und nach I.2 (in Röntgenaufnahmen sowie im tierärztlichen Untersuchungsprotokoll dokumentierte körperliche Verfassung) betreffen, nicht gegen § 475 Abs. 2 BGB aF (heute § 476 Abs. 2 BGB) verstößt. [22] Nach dieser Vorschrift kann die Verjährung der in § 437 BGB bezeichneten Ansprüche vor Mitteilung eines Mangels an den Unternehmer nicht durch Rechtsgeschäft erleichtert werden, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren, bei gebrauchten Sachen von weniger als einem Jahr führt. Diese Vorschrift ist allerdings richtlinienwidrig, weil Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (im Folgenden Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) den Mitgliedstaaten nur die Befugnis verleiht, im Falle gebrauchter Güter vorzusehen, dass die Parteien die Haftungsdauer des Verkäufers auf ein Jahr ab Lieferung begrenzen dürfen, ihnen dagegen nicht die Möglichkeit einräumt, zu bestimmen, dass die Parteien die Dauer der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie genannten Verjährungsfrist begrenzen dürfen. [23] Welche Auswirkungen sich daraus ergeben (…), bedarf hier jedoch keiner Erörterung, denn § 475 Abs. 2 BGB aF ist - trotz des Umstands, dass der Beklagte bei der Versteigerung als Unternehmer (§ 14 BGB) gehandelt und die Klägerin den Hengst als Verbraucherin (§ 13 BGB) erworben hat - im Streitfall nicht anwendbar, da hier die Ausnahmeregelung des § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB eingreift, nach der die Vorschriften über den Verbrauchsgüterkauf (und damit auch § 475 Abs. 2 BGB aF) in Übereinstimmung mit Art. 1 Abs. 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie in den Fällen, in denen gebrauchte Sachen in einer öffentlich zugänglichen Versteigerung verkauft werden, an der der Verbraucher teilnehmen kann, nicht gelten. Fraglich ist allein, ob es sich beim verkauften Pferd, das gem. § 90a BGB Sachen gleichgestellt ist, um eine gebrauchte Sache handelt. Jura Intensiv [26] Das Berufungsgericht geht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats davon aus, dass Tiere entgegen einer im Schrifttum verbreiteten Meinung - unbeschadet des Umstands, dass sie schon ab ihrer Geburt ein gewisses, nur schwer beherrschbares Sachmängelrisiko in sich tragen mögen - nicht bereits ab diesem Zeitpunkt oder mit der ersten Nahrungsaufnahme als „gebraucht“ anzusehen sind. Denn die gegenteilige Sichtweise lässt sich nicht mit § 90a Satz 3, §§ 474 ff. BGB vereinbaren, wonach mangels Sonderbestimmungen für Tiere die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind. Der Gesetzgeber hat sich bei der Reform des Schuldrechts von der Erwägung leiten lassen, dass es beim Kauf von Tieren keiner speziellen Regelung zur Sachmängelhaftung und zur Verjährung bedürfe, weil die neu eingeführten kaufrechtlichen Vorschriften auch diesen Bereich angemessen regelten und auch hier zwischen „neu“ und „gebraucht“ zu unterscheiden sei, wobei für die Abgrenzung an die bisherige Rechtsprechung zu § 11 Nr. 10 AGBG anzuknüpfen sei und daher etwa junge Haustiere oder lebende Fische als „neu“ auch im Sinne des § 475 Abs. 2 BGB zu behandeln. Daher verbietet es sich, ein Tier © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2019 Zivilrecht 623 unmittelbar nach seiner Geburt oder kurze Zeit danach - jedenfalls nicht ohne das Hinzutreten weiterer Umstände - bereits als „gebraucht“ anzusehen. [27] Aus diesen Gründen hat der Senat zur Abgrenzung eines “neuen” Tiers von einem “gebrauchten” Tier in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung zu § 11 Nr. 10 AGBG, auch im Anwendungsbereich der § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 475 Abs. 2 BGB aF jedenfalls solche Tiere nicht als “gebraucht” angesehen, die nur mit dem in ihrer Existenz (“Beschaffenheit”) wurzelnden Lebens- und Gesundheitsrisiko behaftet sind, nicht aber mit Risiken, die typischerweise durch Gebrauch entstehen. Dabei hat der Senat in Anbetracht der gesetzgeberischen Wertung, nach der jedenfalls junge Haustiere nicht als “gebraucht”, sondern als “neu” anzusehen sein sollen (BT-Drucks. 14/6040, S. 245), bei einem noch nicht seinem Bestimmungszweck zugeführten Tier (noch nicht zu Reit- oder Zuchtzwecken genutztes Hengstfohlen) den bloßen Zeitablauf für den Eintritt erhöhter Sachmängelrisiken nicht ausreichen lassen, solange das Tier noch jung ist. Da Kaufgegenstand in dem vom Senat entschiedenen Fall ein zum Veräußerungszeitpunkt sechs Monate altes Hengstfohlen war, das sich noch nicht von der Mutterstute “abgesetzt” hatte, hat der Senat das Fohlen noch als “jung” bewertet. Deswegen konnte er offenlassen, ob und wann ein Tier auch unabhängig von der Frage, welchem Zweck es dienen soll und ob es schon dafür verwendet worden ist, allein durch den Ablauf einer gewissen Zeitspanne nach der Geburt zur “gebrauchten” Sache wird. [31] (…) Ausgehend vom Wortsinn ist eine Sache dann “gebraucht”, wenn sie bereits benutzt worden ist. Darin erschöpft sich die Bedeutung dieses Begriffs jedoch nicht, denn nach üblichem Sprachverständnis wird eine Sache auch dann als “gebraucht” bezeichnet, wenn sie “nicht mehr frisch” ist (…). Bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch ist der Begriff “gebraucht” damit ein Synonym zu “nicht mehr neu” oder zu “abgenutzt”. (…). Dieses Verständnis liegt ersichtlich auch den genannten Vorschriften zugrunde, da eine “gebrauchte” Sache oder ein “gebrauchtes” Tier nach der gesetzgeberischen Konzeption nicht zugleich “neu” sein kann. [32] (…) Der unterschiedlichen Behandlung des Kaufs von “gebrauchten” und “neuen” beweglichen Sachen liegt die gesetzgeberische Wertung zugrunde, dass dem Verkäufer bei “gebrauchten” Sachen Haftungserleichterungen zu Gute kommen sollen, weil diese - auch aus objektiver Käufersicht - mit einem höheren Sachmängelrisiko als “neue” Gegenstände behaftet sind. Vor den daraus resultierenden gesteigerten Gefahren einer Inanspruchnahme soll der Verkäufer geschützt werden. Jura Intensiv Ein Tier ist nicht bereits nach der Geburt als „gebraucht“ anzusehen, BGH, Urteil vom 03.07.1985, VIII ZR 152/84 zu lebenden Forellen. Dieses Kriterium sah der BGH- Senat bereits in der o.g. früheren Entscheidung als mitentscheidend an: Wurde das Tier bereits seinem Bestimmungszweck zugeführt? Das war nicht der Fall. Das streitgegenständliche Pferd war zudem noch ungekört. Unter Körung versteht man die Hengstleistungsprüfung, wenn das Pferd zu Zuchtzwecken eingesetzt werden soll. Es kann nach Ansicht des BGH nicht allein auf den Zeitpunkt ankommen, an dem das Pferd angeritten ist, auch wenn dies die bestimmungsgemäße Funktion des Pferdes ist. Die Benutzung ist aber nicht das alleinige Kriterium, um eine neue von einer gebrauchten Sache abzugrenzen. „Neu“ und „gebraucht“ bilden ein begriffliches Gegensatzpaar. Was gebraucht ist, kann nicht mehr neu sein. Das Sachmängelrisiko ist bei gebrauchten Sachen höher. Das ist der Grund für die Haftungserleichterungen. Wer bei Pferden die Eigenschaft „gebraucht“ erst ab dem Zeitpunkt bejahen will, in dem sie entweder ihrer Nutzung zugeführt sind oder sich in einem Alter befinden, in dem üblicherweise mit ihrem Einsatz als Nutztier begonnen werde, bzw., in dem sie ihrem Verwendungszweck entsprechend tatsächlich genutzt werden, knüpft folglich nicht an den für die in § 474 II 2 BGB, § 476 II BGB für den Verkauf gebrauchter Sachen vorgesehenen Haftungserleichterungen maßgeblichen Grund an. [50] Den genannten Regelungen liegt (…) der Gedanke zugrunde, dass beim Verkauf einer “neuen” Sache berechtigterweise die Erwartung besteht, dass diese für einen Mindestzeitraum ordnungsgemäß funktionieren wird, weil sie noch keine Einflüsse erfahren hat, die diese Funktion hätte beeinträchtigen können. Neue Sachen wurden noch nicht fremden Einflüssen ausgesetzt. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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