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RA Digital - 12/2019

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630 Zivilrecht

630 Zivilrecht RA 12/2019 Problem: Widerruf eines Ehegattentestaments Einordnung: Erbrecht, Ehegattentestament OLG München, Beschluss vom 31.10.2019 31 Wx 398/17 LEITSÄTZE 1. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen in einem Ehegattentestament durch Vernichtung der Urkunde setzt voraus, dass beide Ehegatten mit Testier- und Widerrufswillen an der Vernichtung der Urkunde mitgewirkt haben. 2. An den diesbezüglichen Nachweis sind hohe Anforderungen zu stellen. Er setzt insbesondere voraus, dass die Möglichkeit, dass ein Ehegatte die Urkunde ohne Kenntnis und Mitwirkung des anderen vernichtet hat, ausgeschlossen werden kann. A weiß, dass er im Falle der Gültigkeit des gemeinschaftlichen Testamentes die Hälfte des gesamten von den Eheleuten hinterlassenen Erbes erhalten würde. A weiß auch, dass er im Fall gesetzlicher Erbfolge nur das auf die Verwandten zweiter Ordnung entfallende Viertel des Vermögens der F erben würde, sofern er es nicht noch mit weiteren Verwandten teilen müsste. EINLEITUNG Einem im gemeinschaftlichen Testament als Schlusserben eingesetzten Erben kann großer Reichtum in den Schoß fallen. Umso süßer schmeckt das Vermögen, wenn es aus einer anderen Familie stammt. Was gilt, wenn nur eine Kopie zum Beweis vorliegt, zeigt der vorliegende Fall anschaulich. SACHVERHALT A ist Neffe der verstorbenen F. Diese war verheiratet mit dem vier Tage nach ihrem Tod verstorbenen M. Die Ehe blieb kinderlos. Aus der ersten Ehe des M entstammen zwei Töchter, T 1 und T 2. Im gemeinsamen Testament der Ehegatten M und F vom 20.03.2015, das nur in Kopie vorliegt, heißt es auszugsweise: „Wir [setzen] uns gegenseitig zu unseren alleinigen und beschränkten Erben ein. Schlusserben des Letztversterbenden sind die zwei Töchter (aus 1. Ehe) des Ehemanns zu je ¼ … und A, …, der Neffe der Ehefrau, zur Hälfte. Soweit es gesetzlich vorgeschrieben ist, sollen alle unsere gemeinsamen Verfügungen wechselseitig sein, damit sind sie nach dem Tode des zuerst versterbenden für den anderen verbindlich.“ Das Testament war von M eigenhändig geschrieben worden. Unter dem Text befanden sich eigenhändige Unterschriften beider Ehegatten unter Angabe von Ort und Datum. A beantragt formgemäß gem. §§ 342 I Nr. 6, 352 FamFG unter Vorlage der Kopie des gemeinschaftlichen Testaments vom 20.03.2015 einen Erbschein i.S.d. § 2353 BGB, der ihn als Schlusserben des M ausweist. Mehr als die Kopie des Testamentes steht ihm nicht zur Verfügung. Allerdings bestreitet kein im Erbscheinsverfahren Beteiligter, dass die Kopie mit dem Original übereinstimmt. Andere Unterlagen der Verstorbenen waren geordnet vorhanden. Vor Zeugen hatten die Eheleute angekündigt, an der Schlusserbeneinsetzung nicht festhalten zu wollen. Das Nachlassgericht meint, es sei gesetzliche Erbfolge eingetreten, weil das Testament vom 20.03.2015 in Widerrufsabsicht vernichtet worden und deswegen für die Erbfolge nicht maßgeblich sei. Zu Recht? Jura Intensiv LÖSUNG Die Entscheidung des Nachlassgerichtes ergeht durch Beschluss. Gegen diesen findet gem. § 58 FamFG die Beschwerde statt. Wir stellen nicht die Verfahrensfragen, sondern die materielle Rechtslage in den Vordergrund. A. Begründetheit des Antrags des A auf Erteilung des Erbscheins gem. §§ 342 I Nr. 6, 352 FamFG A wäre der Erbschein zu erteilen, wenn er aufgrund des gemeinschaftlichen Testamentes der Ehegatten vom 20.03.2015 gem. §§ 1922, 2032, 2265 BGB Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten M geworden ist. Ihm wäre der Erbschein zu versagen, wenn M gem. §§ 1931, 1371 BGB gesetzlicher Erbe der F und nach dem Tode des M dessen Töchter gem. §§ 1922, 1924 BGB als Erben erster Ordnung von M geerbt hätten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2019 Zivilrecht 631 I. Testierwille Der Testierwille des in Kopie vorgelegten Testamentes weist A als Schlusserben des zuletzt versterbenden Ehegatten zur Hälfte des Nachlasses aus. II. Wirksames gemeinschaftliches Testament gem. §§ 2247, 2265 ff. BGB Das gemeinschaftliche Testament müsste wirksam errichtet worden und dürfte anschließend nicht wirksam widerrufen worden sein. 1. Errichtung des Testamentes gem. §§ 2247, 2265 BGB M und F waren Ehegatten. An der Testierfähigkeit beider Erblasser besteht gem. § 2229 BGB kein Zweifel. Der Text wurde auch sowohl persönlich i.S.d. § 2064 BGB als auch eigenhändig i.S.d. § 2247 BGB geschrieben. Ferner wurde er von beiden unter Angabe von Ort und Datum eigenhändig unterschrieben. Problematisch ist allein, dass A nur eine Kopie vorlegen kann. Fraglich ist, ob dies zwingend gegen die Wirksamkeit spricht. [10] Zutreffend ist das Nachlassgericht zunächst davon ausgegangen, dass das verfahrensgegenständliche Testament wirksam errichtet wurde. [11] Dass dieses Testament lediglich in Fotokopie vorliegt, hindert - wovon das Nachlassgericht zutreffend ausgegangen ist - den Nachweis der formgerechten Errichtung grundsätzlich nicht. Zwar ist zum Nachweis eines testamentarischen Erbrechts grundsätzlich die Urschrift der Urkunde vorzulegen, auf die das Erbrecht gestützt wird (§ 352 Absatz 3 FamFG). Ist diese Urkunde jedoch nicht auffindbar, können die formgerechte Errichtung und Inhalt mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden, wobei an den Nachweis strenge Anforderungen zu stellen sind. [12] Vorliegend hat der Senat keinen Zweifel, dass das Testament vom 20.3.2015 tatsächlich von den Ehegatten formgerecht errichtet wurde, auch die Beteiligten wenden sich nicht dagegen. Soweit das OLG Köln (a.a.O.) die Einholung eines graphologischen Sachverständigengutachtens verlangt, betraf dies nur den Fall, dass die Echtheit der Unterschriften zweifelhaft war. So lag der Fall hier aber gerade nicht, so dass das Testament ursprünglich wirksam in der Form der §§ 2247 Absatz 1, 2265 BGB errichtet worden war. Jura Intensiv Also wurde das gemeinschaftliche Testament wirksam errichtet. 2. Widerruf des Testamentes gem. §§ 2253, 2255, 2265, 2271 BGB Fraglich ist, ob das Testament, wie es das Nachlassgericht sieht, durch Vernichtung der Urkunde wirksam gem. §§ 2253, 2255, 2265, 2271 BGB widerrufen wurde. Gem. §§ 2253, 2255 BGB kann ein Testament durch Vernichtung der Urkunde widerrufen werden. Im Falle eines gemeinschaftlichen Testamentes i.S.d. § 2265 BGB kann dies wegen der Bindungswirkung des § 2271 BGB nur durch beide Ehegatten gemeinschaftlich geschehen. Hier ist das Original nur unauffindbar. Deshalb ist sowohl die Vernichtung des Testamentes fraglich als auch die Vernichtung der Urkunde durch beide Ehegatten. [15] Es besteht im Falle der Unauffindbarkeit eines Testamentes insbesondere keine Vermutung dafür, dass es vom Erblasser vernichtet worden und deshalb gemäß § 2255 BGB als widerrufen anzusehen ist. Die Vermutung, dass mit der Vernichtung eines Testaments dessen Aufhebung beabsichtigt ist, setzt ihrerseits voraus, dass eine Vernichtung des Testaments festgestellt ist. Die bloße Tatsache der Unauffindbarkeit Die Ehegatten hatten sich wechselseitig zu Vollerben und die Töchter des M sowie den A als Schlusserben eingesetzt. Schlusserben erben nach dem Tod des Letztversterbenden Ehegatten. A konnte nur eine Fotokopie vorlegen. Grundsätzlich ist die Urschrift vorzulegen. Zum Nachweis der Echtheit mit zulässigen Beweismitteln: BayObLG FamRZ 1990, 1162; OLG München, NJW-RR 2009, 305; OLG Köln FamRZ 2017, 1164; OLG Hamburg BeckRS 2019, 1406; Krätzschel in: Firsching/ Graf, Nachlassrecht, § 8 Rn 29 Entscheidende Frage: Wurde das gemeinschaftlich errichtete Testament auch gemeinschaftlich durch Vernichtung widerrufen? Zur Vermutung: OLG Köln FamRZ 2017, 1164 Zur Unauffindbarkeit: OLG Hamburg BeckRS 2019, 1406 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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