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RA Digital - 12/2019

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640 Referendarteil:

640 Referendarteil: Zivilrecht RA 12/2019 [21] Nach diesen Grundsätzen können Steuern zwar zu einer Erhöhung des unpfändbaren Betrags gemäß § 850f Abs. 1 lit. b ZPO, § 36 Abs. 1 InsO führen (vgl. BAGE 32, 159, 169; Hk-ZV/Meller-Hannich, 3. Aufl., § 850f ZPO Rn. 11), dies aber nur, soweit sie tatsächlich und für den Schuldner unvermeidlich abgeführt werden (vgl. etwa BAG, NJW 1986, 2208). Das ist hier nicht der Fall. Dritte geprüfte Anspruchsgrundlage: § 850i ZPO Vierte geprüfte Anspruchsgrundlage: Prüfung, ob in der hiesigen Situation unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte vorliegt. Ausnahmevorschrift; enge Auslegung. Systematisches Grundverständnis: Schutzwürdigkeit der Insolvenzgläubiger bezüglich der Insolvenzmasse gemäß § 35 InsO. Das FA hat durch die Aufteilung der Jahreseinkünfte entsprechend der selbstständigen und nicht selbstständigen Tätigkeit alles Erforderliche getan, um Alt- und Neuverbindlichkeiten auseinanderzuhalten. Rechtsmittelbelehrung gemäß § 4 InsO i.V.m. § 232 S. 1 ZPO Das Gericht wies zudem darauf hin, dass das Insolvenzgericht nicht zuständig ist für die Klärung der Rechtsfrage, ob die steuerrechtliche Festsetzung zutreffend ist. Insoweit wurde auf den finanzgerichtlichen Rechtsweg verwiesen. Ein Anspruch gemäß § 850i ZPO, § 36 Abs. 1 InsO besteht ebenfalls nicht. Dem S fließt bereits aus dem laufenden Einkommen ein Betrag oberhalb der Pfändungsfreigrenze zu. Für eine Anordnung gemäß § 850i ZPO ist damit kein Raum. Gleiches gilt für einen Anspruch gemäß § 765a ZPO. [24] § 765a ZPO ermöglicht den Schutz gegen Vollstreckungsmaßnahmen, die wegen ganz besonderer Umstände eine Härte für den Schuldner bedeuten, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Zwar kann die Vorschrift im Insolvenzverfahren über § 4 InsO entsprechend anwendbar sein. Sie ist als Ausnahmevorschrift jedoch eng auszulegen. Anzuwenden ist § 765a ZPO nur dann, wenn im Einzelfall das Vorgehen des Gläubigers nach Abwägung der beiderseitigen Belange zu einem untragbaren Ergebnis führte. Dabei sind die Ziele des § 1 InsO und die Besonderheit der Gesamtvollstreckung grundsätzlich vorrangig zu berücksichtigen. In der Regel ermöglicht es die Vorschrift nicht, der Masse ausdrücklich kraft Gesetzes (§§ 35, 36 InsO) zugewiesene Vermögenswerte zu entziehen. Ein Eingreifen auf der Grundlage von § 765a ZPO kommt nur dann in Betracht, sofern zusätzlich Rechte des Schuldners in insolvenzuntypischer Weise schwerwiegend beeinträchtigt werden (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2019 - IX ZB 7/17, WM 2019, 686 Rn. 18 mwN). [26] Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist die vom Finanzamt gewählte Aufteilungsmethode der Jahressteuerschuld nach Maßgabe des Verhältnisses der jeweiligen Teileinkünfte auch in Ansehung der progressiven Einkommensteuerbelastung sachgerecht, weil zur Jahressteuerschuld ununterscheidbar alle Einkommensteile beigetragen haben (vgl. BFH, ZIP 1994, 1286, 1287 mwN). [27] Die Belastung mit einer Neuverbindlichkeit beeinträchtigt keine Rechte des S in insolvenzuntypischer Weise schwerwiegend. Jura Intensiv Rechtsmittelbelehrung (…). FAZIT Im Tenor ergeht keine Kostenentscheidung, da gemäß § 788 I ZPO die Kosten dem S grundsätzlich zur Last fallen. Tenoriert wird lediglich die Ausnahme § 788 IV ZPO. Die Streitwertfestsetzung kann im Tenor der Entscheidung erfolgen, da hier die Entscheidung als Beschluss ergeht. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2019 ÖFFENTLICHES RECHT Öffentliches Recht 641 Problem: Privates Hausverbot gegenüber NPD-Funktionär Einordnung: Grundrechte BVerfG, Beschluss vom 27.08.2019 1 BvR 879/12 EINLEITUNG Anknüpfend an die Entscheidung vom 11.04.2018 (1 BvR 3080/09, RA 2018, 369) musste das BVerfG erneut die Reichweite der Drittwirkung des Art. 3 GG in zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen klären. SACHVERHALT B war von März 1996 bis November 2011 Bundesvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Seine Ehefrau buchte für Dezember 2009 einen viertägigen Aufenthalt in einem Wellnesshotel. Nachdem die Buchung zunächst bestätigt wurde, teilte die Hotelbetreiberin schriftlich mit, dass ein Aufenthalt in dem Hotel nicht möglich sei. Stattdessen bot sie alternative Unterbringungsmöglichkeiten oder eine kostenlose Stornierung an. Auf Nachfrage erteilte die Hotelbetreiberin dem B sodann ein Hausverbot und begründete dies damit, dass die politische Überzeugung des B nicht mit dem Ziel der Hotels vereinbar sei, jedem Gast nach Möglichkeit ein exzellentes Wohlfühlerlebnis zu bieten. Die von B erhobene auf den Widerruf des Hausverbots gerichtete Klage blieb vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) und dem Brandenburgischen Oberlandesgericht erfolglos. Der BGH gab der Klage insoweit statt, als es den schon vertraglich vereinbarten Zeitraum betraf, bestätigte aber das in die Zukunft gerichtete Hausverbot der Hotelbetreiberin. Verletzt diese Entscheidung des BGH das Grundrecht des B aus Art. 3 I, III GG? LÖSUNG Jura Intensiv A. Verstoß gegen Art. 3 I GG B ist in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG verletzt, wenn ihm gegenüber eine Ungleichbehandlung vorliegt, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. I. Ungleichbehandlung Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn wesentlich Gleiches ungleich behandelt wird. Das ist der Fall, wenn eine Personengruppe oder Situation rechtlich anders behandelt wird als eine vergleichbare andere Personengruppe oder Situation. Um dies festzustellen bedarf es der Festlegung eines gemeinsamen Oberbegriffs als Bezugspunkt, unter den die verschieden behandelten Personengruppen oder Situationen fallen. Zu vergleichen sind die Gäste des betreffenden Hotels, sie bilden also den gemeinsamen Oberbegriff. Die Ungleichbehandlung besteht darin, dass B ein in die Zukunft gerichtetes Hausverbot aufgrund seiner politischen Überzeugung erteilt wurde und den anderen Hotelgästen nicht. LEITSATZ (DER REDAKTION) Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung kein allgemeiner Grundsatz, wonach private Rechtsbeziehungen prinzipiell gleichheitsgerecht ausgestaltet werden müssten. Eine spezifische Konstellation, bei der eine weitergehende Bindung privater Vertragspartner eintreten könnte, liegt bei einer privaten Hotelbuchung nicht vor. Auch aus den Diskriminierungsverboten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ergibt sich hier nichts anderes. Obersatz BVerfGE 49, 148, 165 Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 860-870 © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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