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RA Digital - 12/2019

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642 Öffentliches Recht

642 Öffentliches Recht RA 12/2019 Problem: Zivilrechtsstreit • sind die Grundrechte überhaupt anwendbar? Lösung: Mittelbare Drittwirkung (vgl. dazu Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 29 ff.) Grds. sachlicher Grund erforderlich (vgl. Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 873) Problem: Gilt das auch im Zivilrecht, da hier der Grundsatz der Privatautonomie herrscht? Lösung: Sachlicher Grund im Zivilrecht prinzipiell nicht erforderlich • es darf willkürlich diskriminiert werden Ausnahme: Sachlicher Grund erforderlich bei Monopolstellung oder struktureller Überlegenheit Allerdings handelt es sich um ein zivilrechtlich verhängtes Hausverbot, dem ein Zivilrechtsstreit zwischen B und der Hotelbetreiberin folgte. Das wirft mit Blick auf Art. 1 III GG, der nur die Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die Grundrechte bindet, die Frage auf, inwieweit Art. 3 I GG hier überhaupt zur Geltung kommen kann. Die Vorschrift entfaltet jedoch – wie alle Grundrechte – eine mittelbare Drittwirkung. Danach verpflichten die Grundrechte die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander. Sie haben jedoch auch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung und sind von den Fachgerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen. Die Grundrechte entfalten hierbei ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als „Richtlinien“ in das Zivilrecht ein. Demnach gelangt Art. 3 I GG im Wege der mittelbaren Drittwirkung zur Anwendung, sodass durch die das in die Zukunft gerichtete Hausverbot bestätigende Entscheidung des BGH eine Ungleichbehandlung vorliegt. II. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung Die Ungleichbehandlung könnte gerechtfertigt sein. Fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen das der Fall ist. Grundsätzlich verbietet das GG nur die grundlose Ungleichbehandlung, will aber nicht eine absolute Gleichheit erzwingen. Ansonsten wäre Art. 3 II, III GG, der eine Ungleichbehandlung nur aus bestimmten Gründen verbietet, überflüssig. Gerechtfertigt ist die Ungleichbehandlung daher grundsätzlich dann, wenn für sie ein sachlicher Grund besteht. Etwas anderes könnte jedoch im konkreten Fall aus dem Umstand folgen, dass ein Zivilrechtsstreit zugrunde liegt und im Zivilrecht der Grundsatz der Privatautonomie gilt. Das lässt eventuell den Schluss zu, dass Diskriminierungen auch dann zulässig sind, wenn kein sachlicher Grund vorliegt, sie also willkürlich erfolgen dürfen. „[6] Art. 3 Abs. 1 GG enthält kein objektives Verfassungsprinzip, wonach die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten von diesen prinzipiell gleichheitsgerecht zu gestalten wären. Dahingehende Anforderungen ergeben sich auch nicht aus den Grundsätzen der mittelbaren Drittwirkung. Grundsätzlich gehört es zur Freiheit jeder Person, nach eigenen Präferenzen darüber zu bestimmen, mit wem sie wann unter welchen Bedingungen welche Verträge abschließen und wie sie hierbei auch von ihrem Eigentum Gebrauch machen will. […] Ein allgemeiner Grundsatz, wonach private Vertragsbeziehungen jeweils den Rechtfertigungsanforderungen des Gleichbehandlungsgebots unterlägen, folgt demgegenüber aus Art. 3 Abs. 1 GG auch im Wege der mittelbaren Drittwirkung nicht. [7] Gleichheitsrechtliche Anforderungen für das Verhältnis zwischen Privaten können sich aus Art. 3 Abs. 1 GG nur für spezifische Konstellationen ergeben, so etwa bei einem einseitigen, auf das Hausrecht gestützten Ausschluss von Veranstaltungen, die aufgrund eigener Entscheidung der Veranstalter einem großen Publikum ohne Ansehen der Person geöffnet werden und der für die Betroffenen in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet. Auch in anderen Fällen darf die aus einem Monopol oder aus struktureller Überlegenheit resultierende Entscheidungsmacht nicht dazu genutzt werden, bestimmte Personen ohne sachlichen Grund von einem bestimmten Ereignis auszuschließen. Jura Intensiv © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2019 Öffentliches Recht 643 [8] Eine solche spezifische Konstellation liegt hier nicht vor. Weder handelt es sich bei einem Besuch in einem Wellness-Hotel um eine Veranstaltung, die in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheidet, noch hat die Hotelbetreiberin eine Monopolstellung oder eine strukturelle Überlegenheit. Sie betreibt nur eines von mehreren Hotels im Ort B.“ Hier: Willkürliche Diskriminierung zulässig Demnach bedurfte das in die Zukunft gerichtete Hausverbot keines sachlichen Grundes, sodass B durch die Entscheidung des BGH nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 I GG verletzt wird. B. Verstoß gegen Art. 3 III 1 GG Auch bzgl. eines möglichen Verstoßes gegen Art. 3 III 1 GG („politische Anschauungen“) stellt sich die Frage, inwieweit dieses Grundrecht im konkreten Fall zwischen den beteiligten Privatpersonen Drittwirkung entfaltet. „[11] […] Diese Bestimmung ist, wie der Bundesgerichtshof zutreffend festgestellt hat, im Rechtsverkehr zwischen Privaten jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar. Auch wenn sich aus dieser Vorschrift aber mittelbar möglicherweise weiterreichende und strengere Bindungen als aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sollten, könnte das jedenfalls nicht bedeuten, dass zwischen Privaten diesbezüglich ein absolutes Unterscheidungsverbot gelten könnte, sondern bedürfte es eines Ausgleichs mit entgegenstehenden Freiheitsrechten. Dass dieser hier zu Gunsten des Beschwerdeführers ausgehen müsste, ist nach den vom Bundesgerichtshof zu Grunde gelegten konkreten Umständen nicht ersichtlich. [12] Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird der Beschwerdeführer durch das in die Zukunft gerichtete Hausverbot lediglich in seiner Freizeitgestaltung beeinträchtigt. […] Auch wurde dem Beschwerdeführer das Hausverbot vorab schriftlich und nicht etwa erst bei der Ankunft in dem Hotel mitgeteilt. Die Mitteilung war deshalb nicht mit einer öffentlichen Bloßstellung und Stigmatisierung verbunden. […] [13] Auf Seiten der Hotelbetreiberin verweist der Bundesgerichtshof auf das durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Hausrecht sowie die unternehmerische Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. […] Die Hotelbetreiberin hätte sich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Beschwerden, Protesten, Spannungen im Betriebsablauf und gegebenenfalls auch Stornierungen ausgesetzt gesehen, wenn sie den Beschwerdeführer aufgenommen hätte. [14] Jedenfalls angesichts dieser Sachlage ist […] nicht erkennbar, dass die angegriffene Entscheidung den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten verletzt.“ Jura Intensiv Auch hier problematisch: Reichweite der Drittwirkung des Grundrechts Keine unmittelbare Drittwirkung, aber evtl. strengere mittelbare Drittwirkung als bei Art. 3 I GG Jedenfalls kein absolutes Diskriminierungsverbot, sondern Ausgleich widerstreitender Freiheitsrechte Freiheitsrechte des B Freiheitsrechte der Hotelbetreiberin Fazit: BGH musste nicht den Freiheitsrechten des B den Vorrang geben Somit verletzt die Entscheidung des BGH den B auch nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 III 1 GG. FAZIT Die Entscheidung sollte zum Anlass genommen werden, sich mit der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte zu befassen. Wie examensrelevant dieses Thema ist, insbesondere wenn das BVerfG dazu entscheidet, zeigt sich daran, dass die in der Einleitung erwähnte Entscheidung des BVerfG vom 11.04.2018 bereits Vorlage für eine Examensklausur war. Hessen und NRW, 1. Examen, Termin Juni 2019, 2. Klausur © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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