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RA Digital - 12/2019

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§ 21

§ 21 Aufenthaltsanordnung und Kontaktverbot § 21 Abs. 1 SächsPVDG normiert das bisher in § 21 Abs. 2 SächsPolG verankerte Aufenthaltsverbot, verlangt aber im Gegensatz zur alten Rechtslage ausdrücklich eine drohende Straftat von erheblicher Bedeutung (dieser Begriff ist legal definiert in § 4 Nr. 4 SächsPVDG). Ferner muss die Straftat ihrer Art nach konkretisiert sein, sodass bloße Vermutungen nicht ausreichend sind (LT-Drs. 6/14791, S. 164). In Ergänzung zum Aufenthaltsverbot sieht § 21 Abs. 2, 3 SächsPVDG den Erlass eines Aufenthaltsgebots und eines Kontaktverbots vor, die wegen ihrer Eingriffsintensität grundsätzlich einer richterlichen Anordnung bedürfen. Mit diesen Eingriffsmitteln sollen insbesondere terroristische Straftaten und konspirative Treffen unterbunden werden (LT-Drs. 6/14791, S. 165f.). § 29 Betreten und Durchsuchung von Wohnungen Das Betreten und Durchsuchen einer Wohnung ist jetzt einheitlich in einem Absatz geregelt (§ 29 Abs. 1 S. 1 SächsPVDG). Damit korrigiert der Gesetzgeber den bisherigen Wertungswiderspruch, dass das bloße Betreten teilweise höheren Anforderungen genügen musste als die Durchsuchung (vg. § 25 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Nr. 3 SächsPolG). Stattdessen differenziert das Gesetz jetzt zwischen Betreten und Durchsuchen zur Tageszeit (§ 29 Abs. 1 SächsPVDG), Betreten und Durchsuchen zur Nachtzeit (§ 29 Abs. 3 SächsPVDG) und dem jederzeitigen Betreten von Betriebs- und Geschäftsräumen (§ 29 Abs. 5 SächsPVDG, LT-Drs. 6/14791, S. 170). § 29 Abs. 1 S. 2 SächsPVDG hält darüber hinaus jetzt eine Legaldefinition des Begriffs „Wohnung“ bereit. § 31 Sicherstellung Der Gesetzgeber hat die bisherige Differenzierung zwischen Sicherstellung und Beschlagnahme (§§ 26, 27 SächsPolG) zwecks Vereinfachung aufgegeben und stattdessen alle Regelungen unter den Begriff der „Sicherstellung“ zusammengefasst (LT-Drs. 6/14791, S. 172). § 47 Zur Entschädigung verpflichtende Maßnahmen „(1) Ein Schaden, den jemand durch Maßnahmen der Polizei erleidet, ist zu ersetzen, wenn er 1. in Folge einer rechtmäßigen Inanspruchnahme nach § 9 oder 2. durch rechtswidrige Maßnahmen entstanden ist. (2) Der Ausgleich ist auch Personen zu gewähren, die mit Zustimmung der Polizei bei der Erfüllung der polizeilichen Aufgabe mitgewirkt oder Sachen zur Verfügung gestellt haben und dadurch einen Schaden erlitten haben. (3) Im Fall des Absatzes 1 Nummer 1 besteht kein Ersatzanspruch, soweit die erforderliche Maßnahme zum Schutz der Person oder des Vermögens des Geschädigten getroffen worden ist. (4) Soweit die Entschädigungspflicht wegen rechtmäßiger Maßnahmen der Polizei in anderen gesetzlichen Vorschriften geregelt ist, finden diese Anwendung.“ Jura Intensiv Kommentar: Neu ist die Bestimmung des § 47 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG, die klarstellt, dass eine rechtswidrige polizeiliche Maßnahme einen Entschädigungsanspruch auslöst, und zwar unabhängig von einem Verschulden (LT-Drs. 6/14791, S. 178). Das gilt natürlich auch für die rechtswidrige Inanspruchnahme eines Nichtverantwortlichen nach § 9 SächsPVDG (LT-Drs. 6/14791, S. 178), womit das bisher bestehende Problem geklärt ist, ob § 52 Abs. 1 S. 1 SächsPolG (jetzt § 47 Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG) im Weg eines Erst-recht-Schlusses auch auf diese Situation anzuwenden ist. zum Herausnehmen II. Sächsisches Polizeibehördengesetz - SächsPBG § 1 Begriff der Polizeibehörden Die Vorschrift übernimmt inhaltlich den bisherigen § 64 SächsPolG und stellt damit klar, dass das SächsPBG nur für die Polizeibehörden und nicht für den Polizeivollzugsdienst gilt. § 3 Begriffsbestimmungen Die Vorschrift verweist auf § 4 SächsPVDG, sodass die dortigen Legaldefinitionen auch im SächsPBG zur Anwendung gelangen. § 9 Gemeindliche Vollzugsbedienstete Die Vorschrift entspricht inhaltlich weitgehend dem bisherigen § 80 SächsPolG. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage (§ 30 Abs. 1 SächsPolG) verweist das SächsPBG für die Anwendung von Zwangsmitteln nicht mehr ausdrücklich auf das SächsVwVG. Das ist aber auch nicht erforderlich, da das SächsVwVG aufgrund seines § 1 Abs. 1 ohnehin zur Anwendung gelangt. Fortsetzung siehe am Ende dieser Ausgabe

RA 12/2019 Öffentliches Recht 645 I. Erforderlichkeit einer Ermächtigungsgrundlage Nach der Lehre vom Vorbehalt des Gesetzes ist eine Ermächtigungsgrundlage erforderlich, wenn ein staatliches Verhalten in die Grundrechte des Bürgers eingreift. Je intensiver dieser Eingriff ist, desto genauer muss die gesetzliche Normierung durch den Parlamentsgesetzgeber sein (sog. Wesentlichkeitstheorie). Die umstrittenen Maßnahmen könnten in die Versammlungsfreiheit des K aus Art. 8 I GG eingreifen. Unter einer Versammlung ist eine Zusammenkunft mehrerer Menschen an einem Ort zu einem bestimmten Zweck zu verstehen, wobei umstritten ist, ob mindestens zwei oder drei Personen teilnehmen müssen. Diese Voraussetzungen waren bei der Versammlung Motto „Steele ist kunterbunt! – Gegen Rassismus! Gegen Gewalt!“ erfüllt. Darüber hinaus ist umstritten, ob weitergehende Anforderungen an den Versammlungszweck zu stellen sind. Nach der engsten der vertretenen Rechtsauffassungen muss der Zweck in einer Meinungskundgabe zu politisch-öffentlichen Angelegenheiten bestehen (sog. enger Versammlungsbegriff). Das ist hier der Fall, sodass nach allen vertretenen Rechtsauffassungen eine Versammlung i.S.v. Art. 8 GG vorliegt, der Meinungsstreit also nicht zu entscheiden ist. Weiterhin müssen die umstrittene Anfertigung und Veröffentlichung der Fotos einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit des K darstellen. Ein klassischer Grundrechtseingriff liegt vor, wenn ein grundrechtlich geschütztes Verhalten durch einen mit Zwangsmitteln durchsetzbaren Rechtsakt final und unmittelbar eingeschränkt wird. Da die Veröffentlichung ein Realakt ist, ist ein klassischer Grundrechtseingriff nicht gegeben. Es könnte jedoch ein mittelbarer Grundrechtseingriff vorliegen. Dieser umfasst jedes staatliche Verhalten, das die Grundrechtsausübung ganz oder teilweise unmöglich macht. „[…] ist die Anfertigung von Übersichtsaufzeichnungen von einer Versammlung mit Foto- und/oder Videotechnik nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer ein Grundrechtseingriff, weil die Einzelpersonen auch in Übersichtsaufzeichnungen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind. Sie können, ohne dass technisch weitere Bearbeitungsschritte erforderlich sind, durch schlichte Fokussierung erkennbar gemacht werden, so dass einzelne Personen identifizierbar sind. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen besteht diesbezüglich, jedenfalls nach dem Stand der heutigen Technik, nicht. Jura Intensiv […] Das Bewusstsein, dass die Teilnahme an einer Versammlung in dieser Weise festgehalten wird, kann Einschüchterungswirkungen haben, die zugleich auf die Grundlagen der demokratischen Auseinandersetzung zurückwirken. Wer damit rechnet, dass die Teilnahme an einer Versammlung behördlich registriert wird und dass ihm dadurch persönliche Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf die Ausübung seines Grundrechts verzichten. […] Dies gilt auch für „flüchtige“, d. h. nicht gespeicherte Aufnahmen bzw. Bildübertragungen. Ohne Eingriffsqualität können demgegenüber unter Umständen bloße Übersichtsaufnahmen sein, die erkennbar der Lenkung eines Polizeieinsatzes namentlich von Großdemonstrationen dienen und hierfür erforderlich sind, oder die reine Beobachtung durch begleitende Beamte oder sonstige Dritte. Vorbehalt des Gesetzes/Wesentlichkeitstheorie • Notwendigkeit einer EGL hängt davon ab, ob ein Grundrechtseingriff vorliegt Definition „Versammlung“ (Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 461 f.) Lehrreich zu diesem Streit: Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 464-467 Kurz abhandeln, da im konkreten Fall unproblematisch Klassischer Grundrechtseingriff (Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 93) Hier (-), da Realakt Mittelbarer Grundrechtseingriff (Schildheuer, JURA INTENSIV, Grundrechte, Rn 99) Übersichtsaufnahme von Versammlungen grundsätzlich mittelbarer Grundrechtseingriff Entscheidendes Argument: Einschüchterungswirkung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.2.2009, 1 BvR 2492/08, juris Rn 130 f.) Speicherung nicht entscheidend Mögliche Ausnahmen: Übersichtsaufnahme dient nur der Lenkung des Polizeieinsatzes oder es liegt eine bloße Beobachtung, also keine technische Aufzeichnung vor © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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