646 Öffentliches Recht RA 12/2019 Hier: Einschüchterungswirkung (+) • mittelbarer Eingriff (+) Veröffentlichung im Rahmen der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit verstärkt den Einschüchterungseffekt Aufnahmen dienten nicht ausschließlich der Lenkung des Polizeieinsatzes § 19a i.V.m. § 12a I 1 VersammlG (-), da keine Gefahrenabwehr Hiervon ausgehend war das Anfertigen von Fotos der Versammlung vom 6. Mai 2018, um diese anschließend auf dem Account der Polizei F. auf Twitter und Facebook zu publizieren, ein Eingriff in Art. 8 Abs. 1 GG. Das Fotografieren der Versammlungsteilnehmer durch Polizeibeamte entfaltete eine Abschreckungs- und Einschüchterungswirkung, die geeignet war, Personen von der Versammlungsteilnahme - und damit von der Grundrechtswahrnehmung - abzuhalten […]. Dieser Effekt wird noch dadurch intensiviert, dass für die Versammlungsteilnehmer nicht klar war, zu welchem Zweck die Aufnahmen gemacht und in welchem […] Kontext sie ggf. gespeichert und später verwertet werden. Dass die Fotos am 6. Mai 2018 allein zum Zweck der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit gemacht wurden, ändert daran nichts. […] Im Gegenteil wird der Abschreckungs- und Einschüchterungseffekt bei lebensnaher Betrachtung potentiell noch verstärkt, wenn Versammlungsteilnehmern - etwa durch eine Kennzeichnung der fotografierenden Beamten als Angehörige der Öffentlichkeitsarbeitsabteilung „PÖA“ - bewusst ist, dass die Fotos auf dem Twitter- bzw. Facebookaccount der Polizei veröffentlicht werden sollen. Denn die Versammlungsteilnehmer müssen dann mit einem erheblich gesteigerten Verbreitungsgrad dieser Lichtbilder und einem entsprechenden breiten - potentiell weltweiten - Bekanntwerden ihrer Versammlungsteilnahme rechnen. […] Da an der Kundgebung lediglich ca. 150 Personen teilnahmen, kann auch von vornherein nicht davon gesprochen werden, dass die Fotoaufnahmen bloßen Übersichtsaufnahmen gleichstanden, die lediglich der Lenkung einer Großveranstaltung durch die Polizei dienen und die wegen ihrer offenkundigen versammlungs- und personenbezogenen Unspezifik die Schwelle eines Eingriffs in Art. 8 Abs. 1 GG möglicherweise nicht überschreiten.“ Somit liegt ein mittelbarer Eingriff in das Grundrecht des K aus Art. 8 I GG vor, sodass die umstrittene Anfertigung und Veröffentlichung der Fotos einer Ermächtigungsgrundlage bedurften. Jura Intensiv II. Ermächtigungsgrundlage des VersammlG Als Ermächtigungsgrundlage für die umstrittenen Maßnahmen kommt § 19a i.V.m. § 12a I 1 VersammlG in Betracht. Die Bildaufnahmen dienten allerdings nicht der Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, sondern der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit. Damit scheidet § 19a i.V.m. § 12a I 1 VersammlG als Ermächtigungsgrundlage aus. Anderweitige Ermächtigungsgrundlagen aus dem VersammlG kommen nicht in Betracht. III. Ermächtigungsgrundlagen außerhalb des VersammlG Möglicherweise kann aber auf Ermächtigungsgrundlagen außerhalb des VersammlG, insbesondere auf § 23 I Nr. 3 KunstUrhG zurückgegriffen werden. 1. Sperrwirkung des VersammlG Das setzt voraus, dass die Bestimmungen des VersammlG keine Sperrwirkung entfalten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
RA 12/2019 Öffentliches Recht 647 „[…] Soweit das Versammlungsgesetz abschließende Regelungen hinsichtlich der versammlungsbehördlichen Eingriffsbefugnisse enthält, geht es als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht - und anderen Rechtsvorschriften - vor. […] Diese sog. Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit bedeutet zwar nicht ausnahmslos, dass in die Versammlungsfreiheit nur auf der Grundlage des Versammlungsgesetzes eingegriffen werden könnte. Denn das Versammlungsgesetz enthält keine abschließende Regelung für die Abwehr aller Gefahren, die im Zusammenhang mit Versammlungen auftreten können. Auf das Polizei- und Ordnungsrecht darf zurückgegriffen werden, wenn es um die Verhütung von - nicht versammlungsspezifischen - Gefahren geht. Ausgehend davon konnte sich der Beklagte für das Anfertigen von Fotos von der Versammlung am 6. Mai 2018, um sie im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit auf Twitter und Facebook einzustellen, allein auf eine Ermächtigungsgrundlage aus dem Versammlungsgesetz stützen. Denn Bild- und Tonaufnahmen von Versammlungen durch die Polizei sind in § 12a VersG - der über § 19a VersG auch für Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge gilt - speziell und abschließend geregelt. [Das in § 12a VersammlG normierte,] anhand der Eingriffsvoraussetzungen, der Vorgaben für die Aufbewahrung und im Hinblick auf explizit unberührt bleibende weitere Befugnisse zur Erhebung personenbezogener Informationen ausdifferenzierte Regelungsprogramm, verdeutlicht, dass das Versammlungsgesetz polizeiliche Bildaufnahmen von Versammlungen und deren zweckgebundene Weiterverwendung umfassend und abschließend normiert. […]“ Folglich entfaltet das VersammlG hier eine Sperrwirkung, sodass ein Rückgriff auf anderweitige Ermächtigungsgrundlagen ausscheidet. Jura Intensiv 2. § 23 I Nr. 1 KunstUrhG Abgesehen von der aufgezeigten Sperrwirkung des VersammlG könnte die von der Polizeibehörde geltend gemachte Anwendbarkeit des § 23 I Nr. 1 KunstUrhG auch aus anderen Gründen scheitern. „§ 23 Abs. 1 KunstUrhG enthält zugunsten der Informations-, Abbildungs-, Meinungs- und Kunstfreiheit die wichtigsten Ausnahmen vom allgemeinen Bildnisschutz nach § 22 KunstUrhG. Die Vorschrift konkretisiert die grundgesetzlich gebotene Abwägung widerstreitender, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützter Freiheitsinteressen des Abgebildeten an Geheimhaltung auf der einen Seite (Art. 2Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) und der Presse wie auch der Allgemeinheit an Information auf der anderen Seite (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Schon aus diesem Grund kann § 23 Abs. 1 Nr. 3 KunstUrhG den Kameraeinsatz nicht rechtfertigen. Diese Vorschrift ist ersichtlich nicht auf hoheitliche Maßnahmen zugeschnitten, bei denen ein grundrechtlicher Schutz des staatlichen Akteurs von vornherein nicht in Betracht kommt. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass § 24 KunstUrhG, der explizit an Behörden adressiert ist, nur die Zulässigkeit der Veröffentlichung Grundsätzliche Sperrwirkung des VersammlG (sog. Polizeifestigkeit der Versammlungsfreiheit) Ausnahme: Abwehr von Gefahren, die nicht versammlungsspezifisch sind Hier: Abschließende Regelung in § 12a VersammlG (ggf. i.V.m. § 19a VersammlG) • Sperrwirkung des VersammlG Begründung der Sperrwirkung In Klausuren ist stets ein umfassendes Gutachten gefordert, sodass auch auf andere Ausschlussgründe einzugehen ist. § 23 I KunstUrhG setzt kollidierende Grundrechte voraus § 23 I Nr. 3 KunstUrhG bei hoheitlichen Maßnahmen (-), da sich der Staat nicht auf Grundrechte berufen kann © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG
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