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RA Digital - 12/2019

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620 Zivilrecht

620 Zivilrecht RA 12/2019 LEITSATZ 1a. Bei Tieren ist im Rahmen der Abgrenzung „neu“/„neu hergestellt“ und „gebraucht“ im Sinne der § 474 Abs. 2 Satz 2, § 309 Nr. 8 Buchst. b Doppelbuchst. ff BGB nicht nur eine nutzungs-, sondern auch eine rein lebensaltersbedingte Steigerung des Sachmängelrisikos zu berücksichtigen (Fortentwicklung von Senatsurteil vom 15. November 2006 - VIII ZR 3/06, BGHZ 170, 31). 1b. Für die Frage, ab welchem Zeitpunkt ein noch nicht genutztes Pferd nicht mehr als „neu“ zu bewerten ist, lassen sich keine allgemein gültigen zeitlichen Grenzen aufstellen. Jedenfalls ist ein zum Zeitpunkt des Verkaufs weder gerittener noch angerittener und auch nicht einer sonstigen Verwendung (etwa Zucht) zugeführter knapp zweieinhalb Jahre alter Hengst, der schon seit längerer Zeit von der Mutterstute getrennt ist, infolgedessen über einen nicht unerheblichen Zeitraum eine eigenständige Entwicklung vollzogen hat und seit längerem geschlechtsreif ist, als „gebraucht“ im Sinne von § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB beziehungsweise als nicht „neu hergestellt“ im Sinne von § 309 Nr. 8 Buchst. b Doppelbuchst. ff BGB anzusehen. 2. Eine Klausel in Auktionsbedingungen des als Kommissionär für den Eigentümer tätig werdenden Verkäufers eines „gebrauchten“ Pferdes, die die gesetzliche Verjährungsfrist für Ansprüche des Käufers wegen eines Sachmangels des im Rahmen einer Versteigerung nach § 474 Abs. 2 Satz 2 BGB verkauften Tieres auf drei Monate nach Gefahrübergang abkürzt, dabei aber die Klauselverbote des § 309 Nr. 7 Buchst. a und b BGB beachtet, hält der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB stand. Problem: Abgrenzung eines neuen von einem gebrauchten Pferd Einordnung: Schuldrecht, Kaufrecht BGH, Urteil vom 22.08.2019 III ZR 113/18 EINLEITUNG Wie schwierig es ist, ein Tier als „gebraucht“ einzuordnen, zeigt dieser Fall des BGH anschaulich. SACHVERHALT Die Amateur-Dressurreiterin K ersteigerte am 01.11.2014 auf einer von B veranstalteten öffentlichen Versteigerung den seinerzeit knapp zweieinhalb Jahre alten ungekörten Hengst A zum Preis von 25.678,32 € brutto. Der Verkauf erfolgte über einen öffentlichen bestellten Versteigerer, wobei B das Pferd im eigenen Namen als Kommissionär veräußerte. Der Hengst war bis zum Zeitpunkt der Auktion weder geritten noch angeritten worden. Vor der Versteigerung wurde das Pferd klinisch untersucht, wobei sich laut tierärztlichem Untersuchungsprotokoll keine besonderen Befunde ergaben. Der Rücken des Hengstes wurde allerdings nur äußerlich, nicht auch röntgenologisch untersucht. Die in dem Auktionskatalog abgedruckten allgemeinen Auktionsbedingungen, welche die Klägerin nach ausdrücklichem Hinweis der Beklagten zur Kenntnis genommen und akzeptiert hatte, enthalten folgende Regelung: „D. […] V. Der Gewährleistungsanspruch des Käufers verjährt bei Schadensersatz und bei Ansprüchen wegen Beschaffenheitsmängeln gem. I. 1) [= Angaben im Auktionskatalog] und 2) [= in Röntgenaufnahmen und im Untersuchungsprotokoll dokumentierte körperliche Verfassung] drei Monate nach dem Gefahrübergang, bei Ansprüchen wegen Beschaffenheitsmängeln gem. I 3a) bis 3c) (Samenqualität, Deck- und Befruchtungsfähigkeit gekörter Hengste) am 31.05. des auf den Gefahrübergang folgenden Jahres. Diese Befristung gilt nicht, soweit Ansprüche betroffen sind, die auf Ersatz eines Körper- und Gesundheitsschadens wegen eines vom Verkäufer zu vertretenden Mangels gerichtet oder auf grobes Verschulden des Verkäufers oder seiner Erfüllungsgehilfen gestützt sind. In solchen Fällen gilt die gesetzliche Frist.“ Jura Intensiv Der Hengst wurde nach Übergabe an K im Januar 2015 kastriert. Nach einer mehrmonatigen Zeit auf der Koppelweide versuchte K ab Mitte Oktober 2015 bis Frühjahr 2016, das Pferd vergeblich anzureiten. Beim vergeblichen Versuch, A zu longieren und ihn an Sattel- und Reitergewicht zu gewöhnen, zeigte er sich widersetzlich, schwierig und empfindlich. Es stellte sich heraus, dass bereits im Zeitpunkt der Auktion so genannte Kissing Spines im Bereich der Brust- und der Lendenwirbelsäule sowie eine Verkalkung im Nackenband im Bereich des Hinterhauptes vorhanden waren. Nach einer von ihr im Jahr 2016 veranlassten tierärztlichen Untersuchung forderte K den B mit Anwaltsschreiben vom 11.10.2016 unter Fristsetzung zum 21.10.2016 vergeblich zur Rückabwicklung des Kaufvertrags auf und erklärte anschließend den Rücktritt. B erhob die Einrede der Verjährung und meint, der © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2019 Zivilrecht 621 Rücktritt sei im Hinblick auf die Verjährung eines – hypothetischen – Nacherfüllungsanspruchs unwirksam. Zu Recht? LÖSUNG A. Anspruch der K gegen B auf Rückzahlung des Kaufpreises aus §§ 437 Nr. 2, 323 I 2. Alt., 346 I BGB K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus einem Rückgewährschuldverhältnis gem. §§ 437 Nr. 2, 323 I 2. Alt., 346 I BGB haben. Ein Rückgewährschuldverhältnis setzt gem. § 349 BGB eine Rücktrittserklärung desjenigen voraus, der ein Rücktrittsrecht hat. Ferner darf der Rücktritt nicht unwirksam sein. I. Rücktrittserklärung der K gem. § 349 BGB K hat gegenüber B den Rücktritt erklärt. Ein Kaufvertrag wurde im November 2015 gem. § 433 BGB geschlossen, indem K auf der von B durchgeführten Auktion auf ihr Gebot gem. § 156 BGB den Zuschlag erhielt. II. Unwirksamkeit des Rücktritts Ob das Rücktrittsrecht aus §§ 437 Nr. 2, 323 I 2. Alt., 90a BGB aufgrund des behaupteten Tiermangels im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vorlag, kann dahinstehen, wenn sicher ist, dass der Rücktritt ohnehin gem. §§ 438 IV 1, 218 BGB unwirksam wäre. Dies setzt voraus, dass der behauptete Nacherfüllungsanspruch verjährt ist und sich der Verkäufer darauf berufen hat. Weil B die Einrede der Verjährung erhoben hat, bleibt nur zu prüfen, ob der behauptete Anspruch auf Nacherfüllung verjährt ist. B beruft sich auf die in der Klausel bestimmte Verjährungsfrist von drei Monaten. Die drei Monate seit Übergabe des Pferdes sind verstrichen. Allerdings hat die Klausel nur rechtliche Relevanz, wenn sie einerseits Vertragsbestandteil und andererseits wirksam ist. 1. Einbeziehung in den Vertrag nach den §§ 305 ff. BGB Die allgemeinen Auktionsbedingungen sind AGB im Sinne des § 305 I 1 BGB. Die Voraussetzungen des § 305 II BGB, ausdrücklicher Hinweis und zumutbare Kenntnisnahmemöglichkeit bei Vertragsschluss sowie das Einverständnis des Adressaten liegen vor. [20] Das Berufungsgericht hat frei von Rechtsfehlern festgestellt, dass die Auktionsbedingungen des Beklagten Vertragsbestandteil des zwischen den Parteien gemäß § 156 BGB zustande gekommenen Kaufvertrags geworden sind. Dies zieht auch die Revision nicht in Zweifel. 2. Wirksamkeit der Klausel Fraglich ist, ob die Klausel wirksam ist. Jura Intensiv a) Verstoß gegen das Klauselverbot des § 476 II BGB Sie könnte gegen das Klauselverbot des § 476 II BGB verstoßen. Warum „hypothetisch“? Weder das LG noch das OLG hatten sich mit dem Vorhandensein des Mangels auseinandergesetzt. Beide sahen die Unwirksamkeit des Rücktritts als entscheidend an und ließen die Frage offen, ob ein Anspruch auf Nacherfüllung besteht. Genau dort liegt auch der Schwerpunkt dieser Entscheidung. Im Urteil spricht der Senat vom „hypothetischen“ Nacherfüllungsanspruch. Damit drückt er aus, dass dieser, unterstellt es gäbe ihn, aufgrund der berechtigt erhobenen Verjährungseinrede ohnehin nicht mehr durchsetzbar wäre und es für die Wirksamkeit des Rücktritts darauf ankommt, ob er verjährt ist. Dies stellt kein schulmäßiges juristisches Arbeiten dar, entspricht aber der effektiven Arbeitsweise der Gerichte in der Praxis. Auch für uns steht bei der Aufarbeitung der hier vorliegenden BGH-Entscheidung die Frage der Verjährung des behaupteten Nacherfüllungsanspruchs mit ihren Facetten im Vordergrund. Klausel verkürzte die Verjährung auf 3 Monate seit Ablieferung Hier liegt der Schwerpunkt: Verstößt die oben im Original abgedruckte Klausel, mit der der Verkäufer seine Haftung zeitlich begrenzen will, gegen ein Klauselverbot? [21] Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht angenommen, dass die in den Auktionsbedingungen des Beklagten in Abschnitt D.V. vorgesehene Verkürzung der Verjährungsfrist auf drei Monate ab Gefahrübergang bei Gewährleistungsansprüchen des Käufers, die © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

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