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RA Digital - 12/2020

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630 Zivilrecht

630 Zivilrecht RA 12/2020 Problem: Haftung des Großvaters bei Filesharing des Enkels Einordnung: Deliktsrecht LG Frankfurt, Urteil vom 29.10.2020 2-03 O 15/19 LEITSATZ 1. Hält sich der 11-Jährige Enkel über ein Wochenende beim Großvater auf, begründet dies noch keine stillschweigende, vertragliche Übernahme einer Aufsichtspflicht nach § 832 BGB. 2. Bei einem 11-Jährigen kann die Einsichtsfähigkeit nach § 828 Abs. 3 BGB in Bezug auf die Komplexität einer Urheberrechtsverletzung im Wege des Filesharing fehlen, weil es in diesem Alter regelmäßig am Verständnis für die komplexe und abstrakte Begehungsweise fehlen dürfte. Die Sachverhaltsdarstellung erfolgt hier, angepasst an die Erfordernisse der 1. juristischen Pflichtfachprüfung (1. Examen), stark verkürzt. Ausführungen zu § 97a UrhG sowie zur Berechnung eines Lizenzanalogieschadens fehlen, weil Kenntnisse hierzu allenfalls im Assessorexamen erwartet werden können. Wer sich, auch aus privatem Interesse, für diese Zusammenhänge interessiert, wird durch Lektüre des Urteils im Original gut befriedigt. Der Tatbestand ist sehr ausführlich. SACHVERHALT K stellt Computerspiele her, die sie unter der Marke „D“ über das Internet vertreibt. Zu ihren Produkten gehört das Computerspiel „S“. Am Urheberrecht der K bestehen keine Zweifel. B1 ist der Großvater des B2. B2 hielt sich am Wochenende bei B1 auf. B1 verfügt über einen Internetanschluss. Über diesen lud der zur Tatzeit 11-jährige B2 über das „Filesharing“-Netzwerk „Bittorrent“ und die Website „www....ro“ das in Rede stehende Computerspiel „S“ herunter und hielt es aufgrund der Funktionsweise von „Filesharing“-Netzwerken damit zugleich auch zum „Download“ für andere Nutzer bereit. Es steht fest, dass „S“ über den Internetanschluss des B1 zum „Download“ angeboten wurde. „S“ kostete im Einzelhandel zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung zwischen 40,- € und 60,- €, über den Bezugsweg des „Downloads“ 40,- €. Nach der anwaltlichen Abmahnung seitens K und der entsprechenden Aufforderung gab B1 eine Unterlassungserklärung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ab, künftig von seinem Anschluss aus „S“ nicht downzuloaden. K verlangt von B1 und B2 gesamtschuldnerisch Schadensersatz in Höhe der Abmahnkosten. B1 verweist darauf, dass der sorgeberechtigte Vater des B2 zur Tatzeit anwesend gewesen sei, er B2 mehrfach verboten habe, von seinem Anschluss aus Filesharing zu betreiben und er B2 auch über die Rechtswidrigkeit aufgeklärt habe. B2 ist der Meinung, er könne als Elfjähriger den Unterschied zwischen Portalen und Tauschbörsen nicht erkennen, die freie oder kostenpflichtige Software zum Filesharing anbieten. Auch sei er angesichts der Abstraktheit der Rechtsverletzung nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat und die Folgen richtig einzuschätzen. Zu Recht? Anmerkung: Eine Störerhaftung des B1 ist nicht zu prüfen. Jura Intensiv LÖSUNG A. Anspruch K gegen B1 auf Ersatz der Abmahnkosten aus §§ 97 II UrhG, 832 BGB K könnte gegen B1 einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der Abmahnkosten aus §§ 97 II UrhG, 832 BGB haben. Fassen Sie feststehende sowie unproblematische Tatbestandsmerkmale zusammen und vermeiden Sie jede Weitschweifigkeit. I. Widerrechtliche Schadenszufügung durch einen Minderjährigen Die Verletzung der Urheberrechte durch ein Verhalten des B2 steht ebenso fest wie die Abmahnkosten, die K infolge der Rechtsverfolgung aufgewendet hat. Ferner handelt es sich bei B1 um eine Person, die als Elfjähriger gem. §§ 2, 106 BGB zur Tatzeit minderjährig war. Damit steht eine widerrechtliche Schadenszufügung durch einen Minderjährigen bei K fest. II. Gesetzliche Aufsichtspflicht des B1 gem. § 832 I BGB § 832 I BGB verlangt, dass der Schuldner des Schadensersatzanspruchs kraft Gesetz zur Führung der Aufsicht über die zu beaufsichtigende Person verpflichtet gewesen sein muss. Sorgeberechtigt gem. § 1626 BGB und damit Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2020 Zivilrecht 631 aufsichtspflichtig gem. § 1631 BGB waren die Eltern, hier der zur Tatzeit im Haus des B1 anwesende Vater des B2 und damit nicht B1. Eine Haftung nach § 832 I BGB scheidet aus. Kraft Gesetz aufsichtspflichtig waren die Eltern des B1, hier konkret der anwesende Vater des B2. III. Haftung gem. § 832 II BGB wegen vertraglicher Übernahme der Aufsichtspflicht Nach § 832 II BGB haftet auch, wer die Aufsichtspflicht durch Vertrag übernommen hat. [47] Für die vertragliche Übernahme genügt bereits eine stillschweigende Übereinkunft (…). Eine tatsächliche Übernahme genügt nicht (…). An die Annahme einer konkludenten Übernahme der Aufsichtspflichten sind strenge Anforderungen zu stellen, um überraschende Haftungslagen für den Dritten zu vermeiden und ihm die Möglichkeit der Absicherung und Schadensvorsorge einzuräumen (…). Indizien, die im Einzelfall für eine stillschweigende Übereinkunft sprechen können, sind z.B. die Entgeltlichkeit der Aufsichtsübernahme oder die Frage, inwieweit die Einräumung einer umfassenden Personenfürsorge mitsamt der Erziehung gewollt ist. Demgemäß genügt für eine konkludente Übernahme der gesetzlichen Aufsichtspflichten nicht bereits das gemeinsame Spiel von eigenen und fremden Kindern bei einer Mutter und die damit verbundene Aufsicht (…), ebenso wenig die Beaufsichtigung der Kinder durch einen Familienangehörigen (…), außer, die Aufsicht über das Kind wird für längere Zeit infolge der räumlichen Trennung unmöglich (…). [48] Der Aufenthalt des damals 11-jährigen Beklagten zu 2) an einem Wochenende bei seinem Großvater, dem Beklagten zu 1), führt schon aufgrund der Kürze des Aufenthaltes zu keiner Aufsichtspflicht des Beklagten zu 1) im Sinne des § 832 Abs. 2 BGB, wobei dahingestellt bleiben kann, ob nach dem – bestrittenen – Vortrag der Beklagten, sich der in M von der Mutter des Beklagten zu 2) getrennt lebende Vater an diesem Wochenende ebenfalls mit seinem Sohn im Haus seines Vaters, dem Beklagten zu 1), in B aufhielt. Eine Beaufsichtigung des minderjährigen Kindes durch einen Familienangehörigen reicht regelmäßig nicht aus, solange keine Aufsicht über das Kind für längere Zeit infolge der räumlichen Trennung zu den Erziehungsberechtigten vorliegt. (…). Jura Intensiv Strenge Anforderungen Indizien: Entgeltlichkeit und Wunsch nach Erziehung Gemeinsames Spielen von Kindern unterschiedlicher Eltern genügt nicht Wochenendbesuch genügt nicht Zeitlich längere räumliche Trennung nötig, Palandt/Sprau, BGB § 832 Rn 15; Münch.Komm./Wagner, BGB, § 832 Rn 45 Somit steht fest, dass B1 keine unerlaubte Handlung begangen hat und nicht gem. §§ 97 II UrhG, 832 BGB haftet. B. Anspruch der K gegen B2 auf Schadensersatz gem. § 97 II UrhG K könnte gegen B2 einen Anspruch aus § 97 II UrhG auf Erstattung der Abmahnkosten haben. I. Widerrechtliche Urheberrechtsverletzung seitens B2 Es steht fest, dass B2 das Urheberrecht der K am Spiel „S“ widerrechtlich verletzt hat. II. Verschulden des B2 § 97 II UrhG verlangt vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Täters. Aufgrund des deliktischen Charakters des § 97 II UrhG ist zur Haftung eine Deliktsfähigkeit des Elfjährigen B2 erforderlich. Der eigentlichen Verschuldensprüfung hat eine Prüfung der deliktischen Verantwortlichkeit Vor dem Fahrlässigkeitsvorwurf ist vorab die Verantwortlichkeit des Kindes gem. § 828 III BGB zu prüfen. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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