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RA Digital - 12/2021

Die Ausbildungszeitschrift von Jura Intensiv.

636 Referendarteil:

636 Referendarteil: Zivilrecht RA 12/2021 Feststellung, dass die Verletzung der Norm alleine nicht ausreicht. Es muss vielmehr dargelegt werden, dass es aufgrund der Verletzung der Norm auch zu einer Rechtsgutverletzung im konkreten Fall beim Anspruchssteller gekommen ist. Dies ist nicht erfolgt. (Der Fall eignet sich hervorragend für eine Klausur aufgrund der Kombination von Standardproblemen (immaterieller Schaden, unbestimmter Klageantrag) mit der Einarbeitung in ein eher unbekanntes Gesetz. Aus der Praxis heraus betrachtet handelt es sich um einen querulatorischen Kläger, der den nächsten Prozess ggf. gegen seinen Anwalt führen wird aufgrund der abwegigen Forderungshöhe sowie der fehlenden Schlüssigkeit der Klage.) Prüfung weiterer in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen der Vollständigkeit halber. Letztendlich scheitern aber alle ebenfalls aufgrund der fehlenden konkreten Rechtsgutverletzung des K. Die ausdrückliche Annahme eines Gewinnstrebens im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs spricht für sich. nicht (mehr) erforderlich. Andererseits ist auch weiterhin nicht für einen Bagatellverstoß ohne ernsthafte Beeinträchtigung bzw. für jede bloß individuelle empfundene Unannehmlichkeit ein Schmerzensgeld zu gewähren; vielmehr muss dem Betroffenen ein spürbarer Nachteil entstanden sein und es muss um eine objektiv nachvollziehbare, mit gewissem Gewicht erfolgte Beeinträchtigung von persönlichkeitsbezogenen Belangen gehen (vgl. LG Landshut, Urteil vom 06.11.2020 - 51 O 513/20). [51] Der Kläger hat lediglich vorgetragen, dass er und seine Ehefrau infolge des vermeintlichen Verlustes des USB-Sticks einen Kontrollverlust erlitten hätten. Weiter wird dies indes nicht ausgeführt. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass der Verlust eines USB-Sticks, auf dem sich ungesicherte persönliche und wirtschaftliche Informationen befinden, durchaus zu einem „unguten Gefühl“ führen kann. Der Kläger hat jedoch in keiner Weise vorgetragen, inwiefern sich für ihn bzw. seine Ehefrau eine ernsthafte Beeinträchtigung ergeben hat. (…) Weitere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen sind ebenfalls nicht erfüllt. Sowohl der Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II, 253 II BGB als auch sonstige deliktische Schadensersatzansprüche wegen einer möglichen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gem. §§ 823 I, 253 II BGB i.V.m. Art. 2 I und Art. 1 I GG erfordern den Eintritt eines hier nicht dargelegten immateriellen Schadens. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I 1, 709 ZPO. FAZIT Die persönliche Einschätzung der Kammer hinsichtlich des Klägers entnehmen Sie dem orbiter dictum: [53] Im Übrigen hält die Kammer das Vorgehen des Klägers, außergerichtlich zunächst einen niedrigeren Schmerzensgeldbetrag zu fordern, unter Androhung, den Betrag zu erhöhen, falls ein gerichtliches Verfahren erforderlich werde, für äußerst befremdlich. Generell ist der (…) geforderte Betrag deutlich übersetzt, (…), was insgesamt ein überbordendes Gewinnstreben des Klägers aufzeigt, hingegen nicht, dass er sich durch die behaupteten Vorgänge in irgendeiner Art und Weise persönlich beeinträchtigt sieht. Jura Intensiv Worauf gilt es bei solchen Fällen zu achten? Erstens, die Anspruchsgrundlage für behauptete (immaterielle) Schäden ist Art. 82 I DSGVO. Aufgrund der Verschuldensvermutung des Art. 82 III DSGVO empfiehlt es sich, die Prüfung mit dieser Norm zu beginnen. Bezüglich der verletzten Normen hat ein Klausurenersteller letztendlich unbegrenzte Möglichkeiten. Hier wird nur ein Blick in die DSGVO helfen. Der „Klassiker“, dass ein unbezifferter – oder nur mit einem Mindestbetrag ausgestatteter – Schadensersatzanspruch ein zulässiger Antrag ist, muss Ihnen bekannt sein. Ein Verstoß gegen § 253 II Nr. 2 ZPO liegt zumeist nicht vor, da die Klage ansonsten bereits unzulässig wäre. Ausführungen zur Zulässigkeit können kurz und knapp zu Beginn der Entscheidungsgründe ausgeführt werden. Beachten Sie auch, dass in einer Klausur stets der Hinweis erfolgt, dass ggf. erforderliche gerichtliche Hinweise als erfolgt unterstellt werden sollen. Dies wird hier auch erfolgt sein. Aus § 138 I 2 ZPO resultiert die Pflicht, auf unschlüssigen Vortrag hinzuweisen. Die Klage war hier – bis zuletzt – unschlüssig. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2021 Referendarteil: Zivilrecht 637 Problem: Widerruf eines Wohnraummietvertrages Einordnung: Mietrecht, Schuldrecht AT LG Berlin, Urteil vom 21.10.2021 67 S 140/21 EINLEITUNG Die Assessor-Entscheidungen in dieser Ausgabe sind beide geprägt von Sachverhalten, welche Rechtsmechanismen betreffen, die zur effektiven Rechtswahrung von Schutzbedürftigen ihren Weg in die Gesetze gefunden haben. Vergleichbar mit Medikamenten, bei denen die Dosis den Unterschied zwischen Heilung und Vergiftung ausmachen kann, stellt sich auch hier die Frage, ob der Verbraucherschutz in Einzelfällen nicht – sinngemäß – „umschlägt“ und rechtsmissbräuchliches Verhalten begünstigen kann. TATBESTAND Der Kläger (K), als ehemaliger Mieter, ist mit der Beklagten (B), als Vermieterin, über einen Mietvertrag vom 01.02.2019 betreffend eine Wohnung in (…) verbunden. Der Mietvertrag kam per E-Mail zustande, und zwar unterzeichnete K den Vertrag am (…) und die B am (…). Kurz darauf erhielt der K die Wohnung, worüber ein Übergabeprotokoll aufgesetzt wurde. Die Miete betrug 756,05 € netto kalt zzgl. Vorauszahlungen auf die Betriebskosten von 109,- € sowie 35,- €, mithin 900,05 €. Mit Schreiben vom 02.01.2020 erklärte K den Widerruf seiner auf Abschluss des Mietvertrags gerichteten Willenserklärung und forderte die Erstattung der gezahlten Miete. Mit Schreiben vom 16.01.2020 wurde die Rückzahlung der Miete in Höhe von 10.800,60 € (12 × 900,05 €) unter Fristsetzung zum (…) verlangt. Mit Schreiben vom (…) erklärte die B die Aufrechnung bezüglich der Nutzungsentschädigung, und zwar in Höhe der mit der Klage geltend gemachten Rückforderung, wobei diese Entschädigung sowohl die Nettomiete als auch die Vorauszahlungen auf die Nebenkosten umfasst. Der Kläger behauptet, er habe die Wohnung vor Vertragsabschluss nicht besichtigt. Soweit im Mietvertrag stehe, dass eine Wohnungsbesichtigung stattgefunden habe, so sei dies unzutreffend. Vor Ort war er, der K, vor Unterzeichnung des Mietvertrages nicht. Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 10.800,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Jura Intensiv B behauptet, ein Ortstermin mit dem K habe stattgefunden; dies ergebe sich bereits aus dem Mietvertrag. B vertritt die Rechtsauffassung, K sei nach Treu und Glauben mit dem Widerruf ausgeschlossen, weil es an einer Überrumpelung durch den Vermieter fehle. Falls K den Abschluss des Mietvertrags LEITSATZ Ist ein Wohnraummietvertrag als Fernabsatzvertrag geschlossen worden und hat der Vermieter den Mieter nicht über dessen Widerrufsrecht belehrt, hat dieser dem Mieter im Falle des wirksamen Widerrufs sämtliche bis dahin geleistete Mietzahlungen einschließlich der erbrachten Nebenkostenvorauszahlungen zurückzugewähren. Der Mieter schuldet dem Vermieter kein Nutzungs- oder Wertersatz für die Ingebrauchnahme der Mietsache. (Der Mieter ist als Ergebnis seines Widerrufs befugt, die Mietsache – abhängig vom Zeitpunkt seines Widerrufs – bis zu 13 Monate kostenfrei zu nutzen.) Das Unstreitige wird im Indikativ Imperfekt dargestellt. Ausnahmen – insbesondere hier – sind Umstände, die sich auf die Gegenwart beziehen. Achten Sie darauf, rechtliche Ausführungen im Tatbestand zu vermeiden. Falsch: „K widerrief den MV.“ Richtig: „K erklärte den Widerruf des MV.“ Aktuelle Anträge sind hervorzuheben. Dies erfolgt stets durch Einrücken, Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, § 313 Rn 19. Der streitige Parteivortrag wird im Präsens und indirekter Rede dargestellt. Relevant wegen § 312 IV 2 BGB Trennen Sie zwischen Tatsachenbehauptungen und Rechtsansichten. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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