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RA Digital - 12/2022

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640 Referendarteil:

640 Referendarteil: Zivilrecht RA 12/2022 Problem: Glaubhaftmachung gem. § 236 II 1 ZPO Einordnung: ZPO I BGH, Beschluss vom 20.09.2022 VI ZB 27/22 LEITSATZ Der Verweis auf eine nicht beigefügte eidesstattliche Versicherung beinhaltet nicht konkludent die standesrechtliche anwaltliche Versicherung. Erstes Versäumnis: Bereits verlängerte Begründungsfrist nicht gewahrt; zweite Verlängerung ohne Zustimmung der Gegenseite nicht möglich, § 520 II 3 ZPO Zweites Versäumnis: Wiedereinsetzungsantrag ohne die eidesstattlichen Versicherungen versendet. Landgericht als Ausgangsinstanz Drittes Versäumnis: Gerichtlichen Hinweis, dass relevante Unterlagen fehlen einen Monat lang ignoriert. Das Verhalten der Rechtsvertretung ist peinlich und inkompetent. Das erste Versäumnis kann, auch wenn es das nie sollte, passieren. Die weiteren Versäumnisse, insbesondere das dritte sind nicht zu erklären. BGH, Beschluss vom 05.07.2017, XII ZB 463/16 EINLEITUNG Die Einhaltung von Fristen, deren Nichtbeachtung zum Rechtsverlust führt, ist eine Kernpflicht im Rahmen der anwaltlichen Berufsausübung. Im Assessorexamen werden häufig Klausuren dahingehend ergänzt, dass die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand mit dem Kernproblem der Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens des Rechtsanwalts zu prüfen ist. SACHVERHALT VERKÜRZT Die Beklagte (B) hat nach fristgerechter Berufungseinlegung und verlängerter Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.01.2022 am 28.01.2022 den entsprechenden Schriftsatz bei Gericht eingereicht. Am 10.02.2022 hat die B Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu durch ihre Prozessbevollmächtigte ausführen lassen, dass und aufgrund welcher Vorgänge in der Kanzlei die Versendung der Berufungsbegründung vorab per Fax am 27.01.2022 versehentlich an das Landgericht erfolgt sei. Sie hat zum Beweis u. a. auf eidesstattliche Versicherungen der Prozessbevollmächtigten und deren Mitarbeiter gem. Anlagen A 1 - A 3 verwiesen, die dem Antrag aber nicht beigefügt waren. Am 15.02.2022 hat das Berufungsgericht den Hinweis erteilt, dass die Anlagen fehlen. Die Beklagte reagierte nicht. Am 15.03.2022 wurde der Antrag auf Widereinsetzung abgelehnt. MASSGEBLICHE ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE Die Beklagte rügt die Verletzung ihres Rechts auf rechtliches Gehör, wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf ein faires Verfahren. Jura Intensiv [9] Aus dem Wiedereinsetzungsantrag ergibt sich, dass sich die Prozessbevollmächtigte (…) zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags ihrer eigenen eidesstattlichen Versicherung (…) bedienen wollte (…). Eine Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung der Richtigkeit der Angaben eines Rechtsanwalts unter Bezugnahme auf seine Standespflichten, die - für die eigenen Wahrnehmungen des Rechtsanwalts - grundsätzlich genügen würde (vgl. BGH (…)), wurde dem eindeutigen Wortlaut des Antrags zufolge nicht angeboten. Der Umstand, dass die Prozessbevollmächtigte (…) es versäumt hat, dem Antrag die eidesstattlichen Versicherungen beizufügen, erlaubt es nicht, in den Antrag eine anwaltliche Versicherung hineinzulesen. (…) Dies gilt erst recht, wenn nicht auf eine anwaltliche Versicherung, sondern auf eidesstattliche Versicherungen Bezug genommen wird, deren Beifügung versäumt worden ist. Denn es fehlt dann schon ersichtlich an dem Willen, sich des Mittels der anwaltlichen Versicherung überhaupt zu bedienen. FAZIT Der Verweis auf eine nicht beigefügte eidesstattliche Versicherung beinhaltet nicht konkludent die standesrechtliche anwaltliche Versicherung. Inhaltsverzeichnis © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG

RA 12/2022 NEBENGEBIETE Nebengebiete 641 Arbeitsrecht Problem: Sachgrundbefristung bei Managementaufgaben Einordnung: Sachgrundbefristung: „Eigenart der Tätigkeit“ BAG, Urteil vom 01.06.2022 7 AZR 151/21 EINLEITUNG Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist bei Neueinstellungen ohne einen sachlichen Grund bis zur Höchstdauer von zwei Jahren zulässig (§ 14 II TzBfG). Weitere Zeitbefristungen sind bei Existenzgründungen (§ 14 IIa TzBfG) und bei derzeit arbeitslosen älteren Arbeitnehmern (§ 14 III TzBfG) möglich. In allen anderen Fällen, vor allem auch gem. § 14 II 2 TzBfG wenn keine Neueinstellung vorliegt, setzen Befristungen einen Sachgrund voraus. Einer der in § 14 I TzBfG beispielhaft (!) genannten Sachgründe besteht in der „Eigenart der Arbeitsleistung“ (§ 14 I 2 Nr.4 TzBfG). Darauf können sich z.B. Rundfunkanstalten stützen, wenn sie das Arbeitsverhältnis mit programmgestaltenden Redakteuren, d.h. mit sog. „Tendenzträgern“ befristen wollen. Denn wegen der verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit (Art. 5 I 2 GG) muss es Rundfunkanstalten möglich sein, Arbeitsverhältnisse mit Tendenzträgern auch ohne Kündigung zu beenden. Unter den Befristungsgrund der „Eigenart der Arbeitsleistung“ fallen auch sog. „Verschleißfälle“. Das sind Arbeitsverhältnisse, die aufgrund des Zeitablaufs nach einer bestimmten Dauer nicht mehr richtig „funktionieren“. Verschleißtatbestände erkennt die Rechtsprechung z.B. bei Schauspielern an, deren Tätigkeit dem „Abwechslungsbedürfnis des Publikums“ unterliegt, oder auch bei muttersprachlichen Fremdsprachendozenten oder Übersetzern, die nach einigen Jahren in Deutschland den Kontakt zu ihrer Muttersprache allmählich verlieren, so dass sie für ihre Arbeitsaufgaben weniger gut geeignet sind. Jura Intensiv Fraglich ist, ob eine Befristung auch auf die „Eigenart der Arbeitsleistung“ im Sinne von § 14 I 2 Nr.4 TzBfG gestützt werden, wenn der Arbeitnehmer eine besonders verantwortungsvolle Managementposition bekleidet. Aus Arbeitgebersicht kann man hier argumentieren, dass auch das Vertrauen in die Managementtätigkeit allmählich verschleißen kann, so dass es dem Arbeitgeber möglich sein sollte, turnusmäßig nach Ablauf einer Befristung frei zu entscheiden, ob das erforderliche Vertrauen noch vorhanden ist. SACHVERHALT Ein Universitätsklinikum mit etwa 12.000 Arbeitnehmern und zwei räumlich getrennten Unterabteilungen („Campus K.“ und „Campus L.“) unterhielt zwei campusübergreifende Zentren, ein Radiologiezentrum und ein Diagnostikzentrum, die jeweils durch eine Zentrumsleitung geführt wurden. LEITSATZ Die Tatsache, dass ein Universitätsklinikum einem kaufmännisch tätigen Manager in herausgehobener Position in besonderem Maße vertrauen können muss, ist kein Befristungssachgrund gemäß § 14 I 2 Nr. 4 TzBfG. Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass mit dem Sachgrund des § 14 I 2 Nr. 4 TzBfG vor allem verfassungsrechtlichen, sich aus der Rundfunkfreiheit (Art. 5 I 2 GG) und der Freiheit der Kunst (Art. 5 III GG) ergebenden Besonderheiten Rechnung getragen werden soll. Insbesondere Tendenzunternehmen der Presse und der Kunst haben folglich die Möglichkeit, befristete Verträge mit sog. Tendenzträgern (also z.B. nicht mit einem Tontechniker) zu begründen. Der Sachgrund der Eigenart der Arbeitsleistung ist jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers nicht auf diese Fallgruppen beschränkt, sondern kann auch in anderen Fällen zur Anwendung kommen. Z.B. könnten von der Befristungsmöglichkeit in § 14 I 2 Nr. 4 TzBfG auch Befristungen bei wissenschaftlichem Personal an wissenschaftlichen Einrichtungen erfasst sein, die zur Sicherung der Innovationsfähigkeit im Bereich der wissenschaftlichen Tätigkeit auf eine stete Personalfluktuation angewiesen sind. Eine Befristung kann auf Sachgründe nach dem TzBfG aber nur gestützt werden, soweit der für die Befristung maßgebliche Sachverhalt nicht abschließend von der speziellen Befristungsregelung des § 2 I WissZeitVG erfasst wird. © Jura Intensiv Verlags UG & Co. KG Inhaltsverzeichnis

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